Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
verstecken kann. Er nahm die Schale, tat ein paar Schritte, nippte und lugte über den Rand hinweg zum Spieltisch. Ja, da stand er, der Mann mit dem Moustache-Bärtchen, der am Abend zuvor Roy mit dem Tod gedroht hatte und der jetzt in einer beinahe bewegungslosen Art mit der Harke über den grünen Filz fuhr und die Jetons zu einem kleinen Hügel vereinte. Niemand von den drei, vier Spielern hatte gewonnen. Sie boten einen traurigen Anblick, die üblichen Durchreisenden, die wie exotische Algen an diesen Ort geschwemmt worden waren.
Da war aber noch etwas. Roy sah jetzt, daß auf dem Gerüst, welches hinter dem Tisch aufragte und das Wandbild verdeckte, eine Person stand. Niemand außer Roy selbst war dazu befugt. Nicht einmal die Leute vom Denkmalamt erschienen, ohne sich vorher angemeldet zu haben.
Roy stellte den Kaffee ab und beeilte sich, seinen Arbeitsplatz zu erreichen. Kurz traf sich sein Blick mit dem des Croupiers. Es war wie immer. Kein Zeichen des Erkennens, kein Gruß, keine Mimik. Als wäre der letzte Abend nicht geschehen. Was ja auch eine Möglichkeit war, dachte sich Roy, diesen Unsinn bloß geträumt zu haben.
Nein, das war keine Möglichkeit. Von einem Traum kriegte man keine Schrammen. Zumindest nicht im Gesicht. Daran wurde Roy jetzt erinnert, als er über die Standleiter auf den Belag des Gerüsts kletterte und sich dem unbekannten Mann näherte, welcher sich ihm zuwandte und meinte: »Was ist denn mit Ihnen? Sind Sie gegen eine Wand gerannt?«
»Ich boxe … zum Vergnügen.«
»Man sollte wissen, gegen wen man boxt. Wenn es ein Vergnügen sein soll.«
Roy ignorierte die Bemerkung und fragte: »Was tun Sie hier? Wer sind Sie? Es ist nicht erlaubt, daß …«
»Ich bin von der Polizei. Mein Name ist Hübner, Hauptkommissar«, sagte Baby Hübner und schwenkte kurz seinen Ausweis. Kürzer ging es kaum noch.
»Ich wüßte nicht, was ich mit der Polizei zu tun habe. Dieses Bild hier, an dem ich arbeite, ist nicht gestohlen, oder?« Roy gab ein abfälliges Lachen von sich, das blecherne Lachen der Nervösen.
»Interessantes Gemälde«, meinte Baby Hübner und richtete den Blick genau auf die Stelle, die sich bisher so hartnäckig einer Reinigung entzogen hatte. Der Umriß eines Gesichtes hatte sich weiterentwickelt, trat schärfer hervor. Es war kaum noch anzunehmen, daß es sich um eine zufällig entstandene und zufällig so konkret anmutende Form handelte, wie man das von Wolken und Steinen und Satellitenbildern kannte. Das Ding wirkte gewollt. Baby Hübner zeigte darauf und fragte: »Was ist das?«
»Eine Verschmutzung.«
»Für mich sieht es wie ein Gesicht aus.«
»Eine Verschmutzung, die man für ein Gesicht halten könnte«, erklärte Roy. »So was kommt schon mal vor. Oder denken Sie vielleicht, es wäre Teil des Gemäldes?«
»Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Obgleich ich wenig Ahnung von Kunst habe. Ich bin ein dummer Polizist, wie Sie sicher gleich bemerkt haben.«
»Was tun Sie dann hier?« spielte Roy den Gelassenen.
»Ach ja. Ich möchte Sie fragen, in welchem Verhältnis Sie zu einer Frau Stransky stehen. Viola Stransky, falls Sie nur den Vornamen kennen.«
Roy schluckte. Sein Herz war jetzt wie einer dieser Fische, die sich mächtig aufblähen und kugelrund ihre Umwelt zu beeindrucken versuchen. Solcherart vom eigenen Herzen bedrängt, fiel Roy das Atmen schwer. Er lächelte blöde und schluckte nochmals.
»Du schluckst zuviel«, dachte er sich und überlegte, ob es besser wäre, alles abzustreiten. Wieso besser? Wo die Polizei doch offensichtlich ohnehin Bescheid wußte.
»Warum interessiert Sie, was ich mit dieser Frau habe?« fragte Roy, ein neuerliches Schlucken durch ein Räuspern ersetzend.
»Schauen Sie manchmal Fernsehen? Tatortkrimis und so?« fragte Hübner. »Dann wissen Sie doch wohl, daß die Fragen immer von den Polizisten gestellt werden. Und die Befragten antworten. Nicht umgekehrt.«
»Meine Güte, ja, ich schlafe hin und wieder mit ihr. Da ist doch nichts dabei.«
»Diese Frau ist verheiratet.«
»Also mich stört das nicht«, meinte Roy.
»Kennen Sie Herrn Stransky?«
»Wir sind uns nie begegnet.«
»Herr Stransky ist verschwunden. Und zwar ausgesprochen spurlos.«
»Ich weiß. Viola hat mir davon erzählt.«
»Und trotzdem treffen Sie beide sich zu einem Schäferstündchen. Ist das nicht ziemlich unklug in dieser Situation?«
»Warum sollten wir damit aufhören?« wunderte sich Roy. »Aus Gründen der Pietät? Ich bitte
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