Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
unabwaschbarer Flecken auf dem Fledermaus-Gemälde klebte. Ihm war mulmig zumute. Er war ganz entschieden ein Feind von allem Übernatürlichen. Dabei stand nicht zur Diskussion, ob er daran glaubte oder nicht. Er wollte einfach nichts damit zu tun haben, so wie man von einer bestimmten Krankheit, gleich, ob sie auf Fakten oder Einbildung beruht, nicht betroffen sein möchte. Auch eingebildete Krankheiten können einen umbringen.
Wenn es denn möglich war, daß Gesichter wie von Geisterhand geschaffen sich aus simplen Schmutzflächen herausbildeten, dann hatte Roy nichts dagegen, solange es nicht das Gemälde betraf, an dem er gerade arbeitete. Weil aber genau das der Fall war, war er zornig gegen sein Schicksal. Womit hatte er das verdient? Wohl kaum, weil er es mit einer verheirateten Frau trieb.
Wenn aber doch?
Nun, dann stellte sich die Frage, ob es etwas nützte, die Beziehung aufzugeben. Er liebte diese Frau ja nicht, obwohl sie eine tolle Person war. Andererseits trat sie viel zu erhaben auf, viel zu selbstsicher und dominant, um sie richtig lieben zu können.
Als Roy jetzt ins Badezimmer wechselte – ein wenig ängstlich, etwas im Spiegel zu finden, was er nicht finden wollte –, beschloß er, die Beziehung zu beenden. So sehr ihm der Sex abgehen würde. Denn eine Frau wie Viola gab es nicht an der nächsten Ecke, so eine würde er wahrscheinlich in seinem ganzen Leben nicht mehr finden.
Im Spiegel war alles in Ordnung. Roy sah aus wie immer nach dem Aufstehen. Zerrupft, mit glasigen Augen, trockenen, zerknitterten Lippen sowie wurmartigen Haaren, die aus den Nasenlöchern standen, um sich dann im Laufe des Tages wieder in ihre Höhlen zurückzuziehen. Es tat ihm gut, sich vorzustellen, daß die Beendigung seiner Viola-Geschichte eine Abwehr des Übernatürlichen nach sich ziehen könnte. Aber allein an so etwas zu glauben bedeutete bereits, sich dem Übernatürlichen ergeben zu haben. Ob es nun existierte oder nicht.
Roy zog sich an und ging auf einen Kaffee, einen guten Kaffee, den er in einem kleinen Bistro einnahm, sich mit dem Besitzer über Fußball unterhielt und für einen Moment ein glücklicher, zufriedener Mensch war. Nach dem letzten Schluck sah er auf seine Armbanduhr, die ihn daran erinnerte, daß kein Mensch ernsthaft länger als einen Kaffee lang glücklich und zufrieden sein durfte. Er bezahlte und machte sich auf den Weg hinüber zum Bahnhof.
Er erschrak heftig, als er hinter dem Roulettetisch eine Frau sah. Eine Frau, die er nicht kannte, während bisher zu jeder Zeit der immer gleiche Träger eines Moustache-Bärtchens an dieser Stelle gestanden hatte. Zumindest dann, wenn Roy an die Renovation des Wandbildes gegangen war.
»Wo ist er?« fragte Roy die Frau.
»Womit kann ich dienen?«
»Ihr Kollege. Der mit dem Bart. Wo ist er?«
»Verzeihen Sie, das ist mein erster Tag.«
»Ach so.« Roy zeigte auf das Gerüst: »Ich arbeite dort oben.«
»Oh, wie schön«, sagte die Frau und reichte Roy ihre Hand. Sie mochte in seinem Alter sein. Eigentlich konnte er Gleichaltrige nicht ausstehen. Seit jeher. Gleichaltrige Frauen bedeuten in der Regel eine schreckliche Quälerei. Ein ständiges Gerangel um alles und nichts. Der Umstand gleichen Alters macht die meisten Frauen ungnädig und bösartig. Das gehört zu den Phänomenen, die sich aus der Pubertät heraus bis ans Lebensende erhalten.
Dennoch dachte Roy: »Sie ist nett. Sie ist wirklich nett.« Wahrscheinlich wollte er das einfach denken, jetzt, wo er bereit war, Viola zu vergessen.
»Passen Sie auf, daß Sie nicht herunterfallen«, gab ihm die nette Frau mit auf den Weg.
Roy versprach es ihr. Dabei lächelte er in sich hinein, als verstaue er das eigene Lächeln in einem Kehlsack. Um ja nichts zu verschwenden. Sodann stieg er die Leiter hinauf zu seinen Fledermäusen.
Überraschung!
Nicht, daß das Ding verschwunden war gleich dem Croupier mit dem Moustache-Bärtchen, aber der Fleck war jetzt wieder ein Fleck und trug in keiner Weise die Züge jenes betrogenen Ehemanns Georg Stransky. Hier war einfach eine deutliche, aber völlig gewöhnliche Verschmutzung der Leinwand zu sehen, eine konturlose Schwärze.
Roy ergriff einen Schwamm, den er in eine milde Lauge tauchte und mit einer kreisenden Bewegung, einen Bogenachter vollführend, über die Fläche zog. Sofort war ein Effekt zu erkennen. Der Schleier lichtete sich. Roy benötigte keine zehn Minuten, dann hatte er die Malerei vollständig freigelegt. Zum Vorschein kam, was
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