Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Geht das vielleicht in Ihren Kopf?«
»Und? Haben Sie ihn mittags getroffen?«
»Nein. Ich hatte zu tun. Und er auch.«
»Wo waren Sie heute abend?« fragte Hübner.
»Erkundigen Sie sich nach meinem Alibi?«
»Genau das tue ich, Frau Stransky.«
»Ich war zu Hause.«
»Und Ihre Tochter?«
»Mia ist bei ihrer Oma. Sie weiß noch nichts vom Tod ihres Vaters. Sie haben wahrscheinlich keine Vorstellung, was es … Lassen wir das.«
»Ja, lassen wir das«, bekräftigte Hübner. » Meine Unmenschlichkeit steht hier nicht zur Debatte. Nicht vergessen, Frau Stransky, ich bin der Polizist. Ich benötige kein Alibi. Sie schon.«
»Ich war alleine, wenn Sie erlauben. Nachdem ich vom Tod Georgs erfahren habe, war mir nicht nach Gesellschaft. Wie dumm von mir!«
»Ja, das ist dumm. Aber noch kein Verbrechen, versteht sich.«
»Zu gütig«, dankte Viola Stransky und erneuerte ihre Frage nach der Person, mit der Roy offensichtlich intim geworden war. Man roch sogar noch das Parfüm. Zumindest Viola und einige Leute von der Spurensicherung, und natürlich hatte auch Steinbeck es gerochen, wenn schon Hübner nichts roch, dessen Nase nicht die beste war.
»Also, wenn Sie nicht hier waren«, sagte Hübner, »dann weiß ich leider auch nicht, wer die Dame gewesen sein könnte. Wenn überhaupt eine Dame.«
»Roy war nicht bi«, erklärte Viola. »Glauben Sie mir.«
»Das nehmen die meisten Frauen von ihren Männern an und wundern sich später«, äußerte Hübner.
»Woher wissen Sie das so genau?«
»Wie ich sagte, ich bin der Polizist, ich bin es, der ständig in die Abgründe der anderen schauen muß.«
»Und da sehen Sie lauter verkappte Schwule.«
»Unter anderem.«
»Roy jedenfalls«, versicherte Viola, »war auf Frauen fixiert.«
»Und er war untreu«, ergänzte Hübner.
Viola Stransky nickte stumm. Sie dachte nach. Sie schien wirklich verblüfft ob der Untreue Roy Almgrens, dem Mann ihrer glücklichen Mittagspausen. Wenngleich das, was man hier sah, natürlich das Relikt eines abendlichen Verkehrs darstellte. Aber Viola Stransky hatte nun mal geglaubt, in bezug auf sämtliche Tageszeiten sich dieses Mannes sicher sein zu dürfen.
Wie auch immer, eines stimmte auf jeden Fall: Viola Stransky war überrascht.
Einen Augenblick später war auch Hübner überrascht. Und wie! Sein Handy klingelte, und es meldete sich einer seiner Mitarbeiter aus dem Büro.
»Ich hatte gerade ein Gespräch mit Stuttgart«, sagte der Assistent, dessen Stimme einen schalkhaften Unterton besaß. Mit gutem Recht.
»Und?«
»Vor einer Stunde wurde die Spurensicherung abgeschlossen, und man gab die Museumsräume frei, damit die Putzkolonne sich ans Aufräumen machen konnte. Na ja, und die haben nun was gefunden.«
»Reden Sie schon.«
»Desprez! Die Putzkolonne hat diesen Desprez gefunden. Tot. In der Maulwurfshöhle.«
»Was?!«
Wie sich zeigte, hatte das offene Fenster im Schloß Rosenstein nicht auch bedeutet, daß Henri Desprez durch selbiges geflüchtet war. Wenn überhaupt, dann nur die Person, die Desprez am Ende der ganzen Aktion liquidiert hatte, um seinen Leichnam im Raum einer Sonderausstellung abzulegen. Die Ausstellung war ironischerweise dem Leben unter der Erde gewidmet, den Prozessen des Verfalls, und verfügte – als Einrichtung für spielende Kinder – über eine gartenzwerghohe Kammer, in der man das Leben eines Maulwurfs nachvollziehen konnte. Und in dieser Kammer nun war ein Arbeiter des Reinigungsdienstes auf den leblosen Körper des Henri Desprez gestoßen. Ein Schuß hatte genügt. Ein Schuß von hinten.
»Sonst noch was?« fragte Hübner.
»Nein, im Moment nicht.«
Nicht alles passiert gleichzeitig. Das meiste aber schon. Während nämlich Hauptkommissar Hübner zusammen mit einer »zweifachen Witwe« vor einer Bettleiche stand und soeben von seinem Assistenten davon unterrichtet wurde, daß man in einer künstlichen Maulwurfshöhle auf den ermordeten Henri Desprez gestoßen war, befand sich Lilli Steinbeck auf dem Gerüst, das einmal Almgrens Gerüst gewesen war, und stellte fest, daß eigentlich nichts festzustellen war. Hier war nirgendwo ein Porträt Georg Stranskys zu erkennen. Auch sonst nichts Auffälliges. Na ja, Fledermäuse. Die Fledermäuse gaben ihr schon ein wenig zu denken, vor allem, da es acht an der Zahl waren. Andererseits kamen Fledermäuse halt hin und wieder vor, in der Natur wie in der Kunst.
Lilli blickte hinunter ins Café, betrachtete den Roulettetisch sowie einen aufrecht
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