Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
hinter der dunklen Plane. Steinbeck wollte sich erheben, wollte nach Hübner rufen. Aber erstens war Hübner damit beschäftigt, den afrikanischen Regenwald zu verteidigen, und zweitens brachte Lilli weder einen Ton noch eine Bewegung zustande. Sie schwamm auf der eigenen Ohnmacht. Und wie das beim Schwimmen so geschehen kann, bekam sie Wasser in die Nase und prallte gegen einen Beckenrand.
»Ich habe versagt«, ging es ihr durch den Kopf. Über ihr stand der Schädel des hornköpfigen Geiers. Er schien zu sagen: »Genau.«
Endlich waren Sirenen zu vernehmen. Rosenblüt kam. Aber er kam zu spät. Die Angreifer hatten sich bereits zurückgezogen – Desprez, Palanka und noch zwei Kämpfer. Einer aber blieb schwerverletzt zurück, drüben bei den Trockengebieten. Wo übrigens auch einige über künstliche Dünen kletternde Schwarzkäfer ausgestellt waren. Das war das Schöne an solchen Museen, daß alles zusammenkam, was zusammengehörte, Vormenschen und Schwarzkäfer, und dies überhaupt nicht an den Haaren herbeigezogen wirkte, sondern logisch und zwangsläufig.
So wie es Desprez als zwangsläufig empfand, zu guter Letzt in Händen zu halten, was in Händen zu halten Esha Ness ihn beauftragt hatte: einen Schlüsselanhänger der besonderen Art, einen Schlüsselanhänger, der nun nach und nach beginnen würde, auszutrocknen.
Der achte Spielstein war gefallen.
Noch bevor Rosenblüts Mannschaft den Dschungelraum erreicht hatte, war Hübner bei Steinbeck gewesen und hatte ihr auf die Wange geklopft, als begehre er Einlaß. Einlaß in ihr Herz? Na, jedenfalls half er ihr, sich aufzurichten.
»Geht schon«, stöhnte sie. Und, wie soeben erwacht: »Scheiße! Stransky!«
Ja, Stransky!
Hübner und Steinbeck beeilten sich, die Stufen auf die ummantelte Plattform hochzusteigen. Der Boden war übersät mit Splittern von Glas und Splittern eines zerfetzten Regenwaldes. In einer Ecke, die Beine angewinkelt, die Arme über den Kopf gezogen, lag Stransky. Es sah aus, als habe er nicht begriffen, daß es vorbei war.
Vorbei war gar keine Rede.
Lilli Steinbeck erkannte jetzt das Einschußloch in Stranskys rechter Hand, welche sich im Kopfhaar verkrallt hatte und dort wohl hängengeblieben war, nachdem die Kugel durch die Hand in den Schädel eingedrungen und auch aus Stransky ein totes Wesen gemacht hatte.
»Hübner?« rief jemand. Es war Rosenblüt, der soeben mit einem Teil seiner Leute im Dschungel eintraf.
»Hier oben!« meldete sich Baby Hübner. »Wir haben einen Toten.«
Kurz darauf fielen von fern Schüsse. Eine weitere Einheit der Rosenblütschen Eingreiftruppe hatte zwei der Angreifer gestellt. Auf der anderen Seite des Gebäudes, dort, wo man eine Gruppe ausgestorbener Tiere zeigte. Hätte Georg Stransky geahnt, daß ihn das Dickicht dreier Regenwälder nicht retten würde, dann wäre er verständlicherweise auch lieber bei Dronte und Riesenalk gewesen, um zu sterben. Oder wenigstens zwischen den künstlichen Felsen einer von Seevögeln frequentierten isländischen Steilküste, vor dessen Hintergrund sich nach kurzer Flucht die beiden Desprez-Kämpfer ergaben, in der Folge aber ihren Mund hielten, wie man einen Mund nur halten kann.
So waren es also bloß zwei, die entkamen, Desprez und Palanka. Ein offenes Fenster zeugte davon, daß es auch ohne splitterndes Glas ging. Die beiden verschwanden. Und so rasch die Stuttgarter Polizei auch reagierte, so wenig brachte die Fahndung ein.
Die nicht.
»Können Sie mir das alles erklären?« fragte Rosenblüt, nachdem er zu Steinbeck und Hübner hochgestiegen war und den zusammengekrümmten Leib Georg Stranskys beiläufig betrachtet hatte.
»Eigentlich nicht«, antwortete Hübner.
»Etwas Internationales«, ergänzte Lilli Steinbeck die Aussage Hübners.
»Ja dann!« gab sich Rosenblüt gelassen und sah die beiden an, als wollte er sagen: Ihr zwei gehört ins Bett.
Nun, Steinbeck und Hübner gehörten allerdings ins Bett, und zwar in ein gemeinsames. Nicht, weil sie ein ideales Liebespaar gewesen wären, aber wenigstens einmal hätten sie es probieren sollen. Der Sex zwischen Menschen, die sich nicht mögen, kann überaus befreiend wirken.
Was Rosenblüt dann tatsächlich sagte, war: »Na, Hauptsache, Sie beide haben überlebt.«
– War das wirklich die Hauptsache im Leben eines Menschen?
– War das wirklich die Hauptsache im Leben einer Dronte?
20
Zweimal Witwe
Als er aufwachte, mußte Roy augenblicklich an das verdammte Gesicht denken, welches als ein
Weitere Kostenlose Bücher