Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
zerbrochen war und beim besten Willen die Möglichkeit fehlte, ein gemeinsames Mahl einzunehmen. Wollte man nicht vom Boden essen. Aber überstanden war überstanden. Essen war ohnehin nicht so wichtig, wie alle dachten.
Steinbeck hielt Leon im Arm. Der Kleine hatte sich weniger an sie geschmiegt, als daß er völlig erschöpft auf ihre Brust geplumpst und sofort eingeschlafen war. Man saß im Wohnzimmer, jeder ein Glas Wein vor sich, obgleich Inula eigentlich keinen Wein trank, nicht, solange sie stillte. Aber Lilli Steinbeck hatte gemeint, es sei kein Fehler, daran zu nippen. Die Muttermilch werde davon nicht schlecht. Eher von der Luft, die man in dieser Stadt atme.
Lilli erzählte von Saint Paul, von den Dronten, nicht aber von der Marsstation und dem Kampf mit Desprez und seinen Leuten. Sie erzählte wie von einer Urlaubsreise, deren Höhepunkt die Entdeckung eines vermeintlich ausgestorbenen Taubenvogels gewesen war. Um Punkt neun Uhr stand Lilli auf, wünschte eine gute Nacht und zog sich mit Leon in das Zimmer zurück, das man ihr bereitet hatte. Sie legte sich aufs Bett und plazierte den Kleinen auf ihrem Bauch, einem Bauch, dem die weibliche Rundung völlig fehlte, der aber dennoch eine gute Unterlage für das Kind bildete. In der Art einer Hängematte.
Lilli Steinbeck dachte nach. Wollte sie ewig Polizistin bleiben? Ewig im Dreck anderer Leute herumwaten? Andererseits wußte sie nicht, was sie statt dessen eigentlich hätte tun sollen. Für das Kinderkriegen war sie jetzt zu alt, fand sie. Und eine echte berufliche Alternative zeichnete sich nicht ab. Am ehesten hätte sich angeboten, einen reichen Mann zu heiraten, auch wenn neuerdings so getan wurde, als sei derartiges passé. Aber derartiges war nie passé. Wenn sich eine Heirat aufdrängte, dann mit einem Mann, der Geld hatte. Das Geld rechtfertigte den Rest. Oder aber Lilli ging ins Kloster, auch wenn sich das wie eine Burleske anhörte.
Sie sah sich selbst, wie sie jetzt durch einen Klostergarten schritt, Blumenzwiebeln in der Hand. Es war ein schöner Frühlingstag. Etwas aber irritierte sie. Na, vielleicht hätte sie ihre Stöckelschuhe ausziehen sollen, bevor sie ernsthaft an ein Leben als Nonne dachte.
Lilli schlief ein. Sie träumte davon, auf Saint Paul zu sein, ohne Nonnentracht, aber auch ohne ihre hohen Schuhe, sondern barfuß, ja eigentlich vollkommen nackt. Sie stand inmitten der Dronten, die sie alle ein wenig vorwurfsvoll ansahen. Zwischen den lichtgrauen, gelbgeflügelten Tieren erkannte Lilli den Detektiv Kallimachos, der jetzt einen Astronautenanzug trug und an ein Michelinmännchen erinnerte. Sein schwerer Atem hallte durch das Gewölbe. Er sagte etwas. Lilli verstand kein Wort. Aber es klang nach einer Warnung, ganz so, als versuche ein Salatkopf oder eine Wassermelone einen zu warnen. Lilli wollte näher an Kallimachos herantreten, machte aber unwillkürlich einen Schritt rückwärts, stolperte über etwas und fiel auf den Rücken. Sofort näherte sich eine der Dronten, ein Tier, das jetzt mächtig über Lilli thronte und erstaunlich flink auf ihren Bauch gestiegen war. Lilli war nicht sicher, ob der Vogel es sich bloß auf ihrem Körper bequem machte, sie zu erdrücken versuchte oder etwa daranging, einen sexuellen Akt vorzunehmen. Sie spürte allein, wie sich ihr Magen unter dem großen Gewicht schmerzhaft spannte. Lilli griff nach der Dronte. Das Gefieder war hart, wie mit Wachs überzogen. Darunter jedoch ahnte sie den warmen, pulsierenden Körper. Unmöglich, den Vogel herunterzuziehen. Er wurde schwerer und schwerer. Sein Kopf kam näher. Aus großen Augen betrachtete er Lilli neugierig und ein wenig amüsiert. Währenddessen öffnete er seinen gelben, rot zugespitzten Schnabel und …
Jetzt sabbert mich das Vieh auch noch an, dachte Lilli. Das dachte sie aber bereits, nachdem sie erwacht war. Leider jedoch änderte dieser Umstand, der des Erwachens, nichts daran, daß etwas ungemein Schweres auf ihr lastete und sie ansabberte. Konnte das der kleine Leon sein? Nie und nimmer. Auch war der Geruch, der nun den Raum beherrschte, mitnichten ein feiner, frischer Babygeruch. Vielmehr roch es nach altem Hund und alter Banane und altem Schweiß. Schweiß aus Schutzanzügen und Motorradhelmen und dicken Ledermänteln.
Kein Baby also!
Es brauchte nur eine weitere Sekunde, da war Lilli hellwach und gewahrte den hohen Schatten über sich, den aufgerichteten Körper, welcher tatsächlich auf ihren Bauch und Unterleib drückte.
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