Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
wollte er sagen: Die spinnen alle, diese Europäer.
Keine Frage, auch Griechen waren Europäer. Aber nicht richtig. Das ist bekannt.
Stirling sagte etwas auf griechisch. Seine Stimme klang ernst und streng. Herr Suez aber lächelte wie über den Witz eines Kindes.
Steinbeck und Stirling verließen das Studio. Auf der Straße blieben sie stehen. Stirling zog eine Zigarettenpackung aus seiner Sakkotasche. Eine türkisfarbene Hülle, stark verknautscht, sodaß auch die Zigarette, die er Lilli anbot, stark verknautscht war. Als wäre sie schon zu oft geraucht worden. Ein wenig schmeckte sie auch so.
Während die beiden da standen und wortlos rauchten, drang ein Klingelton aus Steinbecks dunkel transparenter Umhängetasche. Es war Dr. Antigonis’ telekommunikative Puderdose. Steinbeck drückte Stirling ihre Zigarette in die Hand, nahm das tönende Gerät aus ihrer Tasche und klappte es auf. Spieglein, Spieglein an der Wand … Einen Moment sah sie die eigene krumme Nase auf dem ovalen Monitor, sodann hellte sich die Scheibe auf, und es erschien das gepflegte Altherrengesicht des Dr. Antigonis, welcher Steinbeck salopp zuzwinkerte.
»Schade um Georg Stransky«, eröffnete Antigonis, »aber da kann man nun mal nichts machen.«
»Wir hätten es fast geschafft«, sagte Steinbeck.
»Ja, ich weiß. Leider Gottes ist fast nicht ganz. Fast ist ein Ausdruck allergrößten Scheiterns. Trotzdem ist Ihre Leistung ein Versprechen für die Zukunft. Es kann gelingen, wenn man sich Mühe gibt.«
»Wie ich hörte, Herr Doktor, arbeiten Sie … für die Götter, heißt es.«
»Haben Sie Probleme, das für bare Münze zu nehmen?«
»Na ja, ich habe in diesen Tagen genug erlebt, um eine ganze Menge zu glauben. Ich glaube zum Beispiel an Monster. Und was wären Götter anderes als Monster? Kerle, die Blitze senden, die ihre Rivalen an Feuerräder fesseln, die Mängel erfinden, um sich besser abzugrenzen, die einen braven Gläubigen anweisen, den eigenen Sohn im Feuer zu opfern.«
»Das ist jetzt aber der alttestamentarische Gott, von dem Sie sprechen, meine Liebe.«
»Einerlei. Der eine Gott oder die vielen, immer sind es Spieler. Das müssen Sie ja wissen.«
»Sicherlich. Aber hinter allem steckt ein Sinn.«
»Hinter allem steckt eine Krankheit«, erwiderte Steinbeck.
»Dann wäre die Welt eine Krankheit.«
»Ja, wahrscheinlich ist es so.«
»Eine unheilbare?«
»Genau das ist die Frage, die sich stellt«, meinte Lilli Steinbeck und dachte jetzt an den kleinen Leon. Sie sagte: »Ich habe zu tun.«
»Sie sind in Athen, wie ich sehe«, stellte Antigonis fest.
»Ach, sehen Sie das?«
»Ja. Aber ich will Sie jetzt nicht aufhalten, bei was auch immer. Treffen wir uns doch morgen mittag. Wie wäre es mit ein Uhr, im Blue Lion ?«
»Ein häßliches Lokal«, fand Steinbeck. »Nein, gehen wir woanders hin. Es gibt da eine Ouzerie, der Name … irgendwas mit Nymphen, die in einer Flasche hocken. Der Schnaps, den man dort kredenzt, ist göttlich. Es gibt ja auch gute Götter, dann und wann.«
»Dreiundzwanzig Nymphen«, sagte der Doktor.
»Richtig.«
»Gut. Ein Uhr, Madame. Es wird mir eine Ehre sein.«
Das Bild des Dr. Antigonis verschwand mit einem kleinen Zischen, als drücke jemand seinen feuchten Finger auf eine Kerzenflamme. Zurück blieb die spiegelnde Fläche des graugrünen Monitors. Da Lilli Steinbeck aber ihren Kopf ein wenig zur Seite geneigt hatte, rückte ihr Gesicht aus dem Oval, und es war statt dessen die Hausfassade zu sehen, vor der sie stand. Beziehungsweise das Schild mit dem Namen des Studios: SUEZ. Nun freilich spiegelverkehrt. Die auf diese Weise verdrehten Buchstaben ergaben einen nicht minder bekannten Namen: ZEUS.
Steinbeck schnaubte durch die Nase und lachte.
»Warum lachen Sie?« fragte Stirling.
»Es gibt Zufälle, die sind wirklich peinlich und albern. Schlimm wird die Sache aber erst, wenn der Zufall gar kein Zufall ist. Das Peinliche wird zum Schrecklichen.«
»Ich verstehe nicht ganz …«
»Kommen Sie! Bringen Sie mich nach Hause. Zu Leon.«
»Sehr gerne«, sagte Stavros Stirling, froh darum, daß es auch noch Augenblicke gab, da er meinte, was er sagte.
22
Der Club der toten Tiere
Eine Stunde später hatte Lilli Steinbeck ihr Papageienkleid gegen einen Seidenpyjama gewechselt, der nun endgültig eine Audrey Hepburn unserer Tage aus ihr machte. Ihre Nase fungierte dabei als Hinweis auf einen überstandenen Krieg, einen Krieg zwischen Mann und Frau, an dessen Ende alles Geschirr
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