Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Dr. Antigonis. »Sie dürfen mir glauben, niemand ist so interessiert daran, daß Herr Stransky dem Tod entkommt, wie ich das bin.«
»Und wieso hetzen Sie mir dann einen Perversen auf den Hals?«
»So kann man das nicht sagen. Sehen Sie es als einen Test an.«
»Ein Test? Der Kerl hätte mich beinahe umgebracht.«
»Aber nein. Ich wußte doch, daß unsere Polizei auf Sie achtgibt.«
»Pagonidis!?«
»Ein fürchterlicher Angeber«, sagte Dr. Antigonis, »aber man kann sich darauf verlassen, daß er keine Gefangenen macht. Er läßt lieber scharf schießen, bevor er versucht, sich ein Bild zu machen. Er macht sich immer erst hinterher ein Bild. Eines, das die Entscheidung, scharf zu schießen, plausibel erscheinen läßt. Wie gesagt, es war nie anders bei diesem Mann.«
»Weshalb aber diese Umstände?«
»Ich habe meinen Stil«, erklärte Antigonis sehr ernst. »Ein Stil rechtfertigt jeglichen Aufwand. Ohne Stil und Aufwand hätte nichts einen Sinn. Das Leben wäre ein Kartoffelsack.«
»Und Georg Stransky? Warum er? Wenn Sie mir schon nicht sagen wollen, wo er ist.«
»Ich weiß nicht, wo er ist. Nicht genau, leider. Dabei wäre es sehr in Stranskys eigenem Interesse, wenn ich es bald erfahren könnte.«
»Ich wiederhole: Wieso er?«
»Weil er mir gefiel. Ich meine, er gefiel mir, weil er so normal aussah. Und er ist ja auch ein ausgesprochen normaler Mensch. Ich wähle immer die Normalen. Man kann ihre Handlungen sehr viel eher voraussehen. Besser als bei Menschen, die sich für besonders halten. Megalomane kann man nicht einschätzen. Selbst die Monster unter ihnen kommen urplötzlich auf die Idee, Heilige zu werden. Solche Menschen sind zu allem bereit.«
»Soll das heißen, die Wahl auf Stransky fiel zufällig?«
»Eben nicht. Nur besitzt diese Wahl keinen unmittelbaren Hintergrund. Stransky war ein Mann auf der Straße, der mir optisch zusagte. Und bei dem es sich, wie mir rasch klar wurde, um einen Deutschen handelte. Ich habe ein Faible für die Deutschen.«
»Wieso?«
»Ich könnte jetzt sagen, wegen deren Hartnäckigkeit. Selbst die Normalen sind noch zähe Burschen. Das ist mehr als nur ein Klischee. Aber ich will ehrlich sein: Es war eine pure Laune, daß ich mich in allen zehn Fällen für Deutsche entschied. So, wie ich rothaarige Frauen bewundere. Ich weiß nicht, wieso.«
Steinbeck hatte rote Haare. Sogleich erklärte sie: »Eigentlich bin ich schwarz.«
»Es kommt nicht darauf an, was man eigentlich ist«, äußerte Antigonis und sah Steinbeck mit Wohlgefallen an. Sie war ganz sein Typ, trotz Nase. Denn er war ein kluger Kopf, dieser Doktor von irgendwas, dieser Mann im Nebel seiner selbst. Keiner von denen, die auf die Idee gekommen wären, Steinbeck eine Nasenoperation spendieren zu wollen.
»Rothaarige und Fledermäuse. Ist das Ihr Stil?« fragte Steinbeck, die ungern vergaß, daß Antigonis ihr diesen Maskenmann geschickt hatte.
»Es handelt sich um ein Symbol, Frau Steinbeck. Bei der Batmanfigur, meine ich.«
»Stransky bekam eine. Und die anderen auch, nehme ich an.«
»Ich sehe, Sie sind im Bilde.«
»Bei weitem nicht so sehr, wie ich möchte. Wieso Batman?«
»Wenn ich Ihnen alles verrate, meine verehrte Freundin, hören Sie auf, zu sein, was Sie sind, eine Kriminalistin. Eine Forscherin in fremden Welten.«
»Also gut. Aber ein bißchen helfen werden Sie mir schon müssen«, fand Steinbeck und blinzelte. Ihre Wimpern schwangen, als wollten sie einen Sandsturm auslösen. Aber welche Wimpern wollen das nicht?
»Wie gesagt«, betonte Antigonis, »ich habe Stransky ausgewählt, aber ich weiß nicht, wo er ist. Zumindest nicht genau. Und das ist dumm. Stransky ist meine vorvorletzte Chance. Kein Wunder, daß ich ein wenig nervös werde.«
»Wovon reden Sie da?«
»Es ist ein Spiel, weil alles ein Spiel ist. Das wird gerne übersehen.«
»Welches Spiel genau?«
»Die Hintergründe brauchen Sie nicht zu interessieren. Worauf es ankommt, ist das folgende: 1995 habe ich zehn Personen ausgesucht. Im Grunde hätte ich genausogut im Telefonbuch auf irgendwelche Namen zeigen können. Aber das wäre der Sache nicht angemessen gewesen. Auch im Hinblick auf die Arbeit der Polizei, auf Ihre Arbeit, Frau Steinbeck. Die Polizei verlangt Strukturen, das ist ihr gutes Recht. Und weil ich kein Angsthase bin, gab ich meiner Auswahl eine solche Struktur. Ich nahm, wie gesagt, nur Deutsche, nur Männer, keine Urlauber, sondern Personen, die geschäftlich in Athen zu tun hatten, und vor
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