Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
müßte noch ein Ticket für unseren übergewichtigen Freund reservieren lassen.«
»Na, das kriegen Sie ja wohl hin.« Steinbeck berührte kurz die Hand ihres Gesprächspartners in einer etwas tätschelnden Weise.
Dr. Antigonis verzog das Gesicht, betrachtete noch einmal den schlafenden Mann zu seiner Linken und gab sich sodann geschlagen.
Steinbeck meinte, sie verstehe Kallimachos. »Ich könnte auch längst schlafen.«
Sie erhob sich, wechselte hinüber zu dem Detektiv, faßte ihn an der Schulter und drückte ihre Fingerkuppen sachte, aber auch nicht zu sachte, in den vom Fett abgedeckten Schultermuskel. Kallimachos kam mit einem Stöhnen zu sich und griff nach seiner Zigarette. Endlich brach der Aschenbogen, denn auch Wunder haben ihre natürlichen Grenzen.
Der nun ausnahmsweise zigarettenlose Mann öffnete seine Augen und zwinkerte in das Gelb seiner Brillengläser. Er blickte hinter sich, wo Steinbeck stand und fragte im Ton eines Patienten: »Sind wir fertig?«
»Ja. Lassen Sie uns gehen. Wir müssen noch packen.«
Kallimachos stellte keine weitere Frage. Er zog sich an seinem Stock in die Höhe, schneller, als man das bisher an ihm erlebt hatte. Allerdings nicht so schnell, daß es Dr. Antigonis auch nur irgendwie beruhigt hätte. Der dicke, gehbehinderte Detektiv kam ihm in dieser Situation geradezu surreal vor. Banal surreal, wie weiche Uhren oder brennende Giraffen.
Dr.Antigonis konnte nicht ahnen, wie nahe er damit der Wahrheit kam. Denn auch wenn Kallimachos gar keine brennende Giraffe war, so doch ein brennendes Walroß. Sie alle würden das noch begreifen.
Viel zu spät für ihre Verhältnisse klopfte Steinbeck an die Wohnungstüre der Familie Stirling. Das Geschrei des Kindes stand wie ein Namensschild an der Türe. Inula öffnete. Sie war ohne den Säugling, betrachtete Lilli Steinbeck von tief unten her, als müßte ihr Blick sich rücklings unter einem sehr niedrig gehaltenen Limbostab durchwinden, um erst in der Folge zu der Österreicherin hochzufahren. Ja, das war der typische Limboblick einer gequälten, müden, wütenden Natur, der man ständig die Querstange noch ein Stück tiefer setzte.
Solcherart schauend, trat Inula ein kleines Stück zur Seite und ließ Steinbeck ein, welche ja dünn genug war, um den schmalen Durchgang ohne Einbußen der eigenen Noblesse zu nutzen.
Steinbeck ging ins Wohnzimmer, wo Stavros gerade dabei war, das schreiende Kind aus der Schulterposition zu nehmen und mittels Handfläche und Unterarm einen Sitz zu bilden, aus dem heraus der kleine Leon seine Umgebung betrachten konnte. Aber da waren einfach viel zu viele Tränen, um etwas erkennen zu können. Und so fügte sich erneut ein Unglück in das nächste, sodaß nur noch die totale Erschöpfung Erlösung schaffen würde. Aber so weit war man noch nicht.
»Geben Sie ihn her«, sagte Steinbeck. Es war ein Reflex. Sie war alles andere als eine gelernte Kinderfrau oder auch nur Hobbykinderfrau. Es war der Reflex einer im Grunde ziemlich ermatteten Frau, die ein Problem im wahrsten Sinne des Wortes in die Hand nahm. Jedoch alles andere als handwerklich korrekt. Sie hielt das Kind gleich einem kleinen Bierfaß, und zwar wie jemand, der Bier nicht mochte. Sofort kam Inula herbeigeeilt und wollte ihren Kleinen an sich reißen. Aber Leon war noch schneller gewesen als seine Mutter. Er hatte augenblicklich zu schreien aufgehört, aber nicht, wie man hätte denken können, um nach dem kurzen Schock eines fremden Geruchs erneut und noch heftiger loszuschlagen, nein, er ließ sein Köpfchen, das er ohnehin noch kaum zu tragen verstand, gegen die Wange Steinbecks fallen, schloß seine Augen und versank mit einem kleinen Schnaufen – einem winzigen Kallimachos-Schnaufen – in einen ruhigen und tiefen Schlaf. Einer Befreiung von Schlaf.
Die Eltern standen da wie ausgepeitscht. Dabei war es doch so einfach. Es war wie mit Katzen, die sich am liebsten an Leute kuscheln, welche Katzen gar nicht mögen, die sie zwar nicht quälen oder verhungern lassen, aber auch keine großen Gefühle für sie hegen.
Lilli Steinbeck besaß keinen Mutterinstinkt. Sie war nichts anderes als eine neutrale Hülle, ein Ort ungefärbter Geborgenheit. Für den Moment.
Nach einer ersten Scham ergaben sich Inula und Stavros Stirling der plötzlichen Gunst, murmelten etwas Unverständliches und verzogen sich sodann in ihr Schlafzimmer, wo sie beide – so rasch wie zuvor ihr Baby – einschliefen.
Die Welt schlief. Nur Lilli Steinbeck, die
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