Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Titel: Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
zerrann zu einem Muster, das nichts bedeutete.
    Stranskys Sitznachbar, ein jugendlicher Greis, zog einen der Äste aus der Tüte und zupfte die Blätter herunter, wobei er gegen ein jedes kurz mit dem Finger trommelte, als klopfe er gegen eine winzige Türe. Einige Blätter ließ er fallen, die restlichen, die offenkundig seiner Prüfung standgehalten hatten, überreichte er Stransky.
    »Qat«, dachte Stransky, »es muß Qat sein.« Er hatte im Buch eines Kollegen, das die Vogelwelt des nördlichen Jemen behandelte, von diesem Rauschmittel gelesen, von den dünnen, weichen Strauchblättern, die man kaute und deren Saft dank des eigenen Speichels mit beachtlicher Geschwindigkeit ins Zentralnervensystem hineinfuhr. Der auf diese Weise selbstbehandelte Mensch war gleich sehr viel freundlicher gegen das Leben. Also auch gegen Allahs diverse Prüfungen. Woraus aber gleichzeitig das übliche Problem resultierte, daß nämlich Gott, gleich in welcher Gestalt und an welchem Ort er auftrat, ständig von flüchtenden Individuen umgeben war. Wenn sie sich nicht in den Alkohol flüchteten, ins Geldverdienen oder Sporttreiben und so weiter, dann eben in Stimulanzien wie dieses Qat. Überall Flucht, auch unter Fundamentalisten. Überall Leute, die sich versteckten und Gott bis tausend zählen ließen.
    Stransky sagte: »Qat.«
    Jemand korrigierte ihn, indem er das Wort anders aussprach, kompakter, massiver, jedoch gleichzeitig anerkennend nickte.
    Man forderte Stransky auf, das Kraut zu probieren. Er lächelte wie ein Ring – wenn man sich die Form des Rings als ein unendliches Lächeln denkt – und führte sich ein paar Blätter in den Mund, in die er vorsichtig biß. Sie schmeckten … nun, sie schmeckten nach Blättern, die eigentlich gedacht waren, von Ziegen verspeist zu werden.
    Die Männer unterhielten sich, sprachen auch immer wieder Stransky an, reichten ihm eine Wasserflasche. Er dankte und gab sein Ringlächeln zum besten. Wenn Verzweiflung, dann steckte sie in seinen Augen. Aber in seine Augen sahen die Männer nicht. Sehr wohl aber die Kinder, die abwechselnd vor ihn traten und ihn bestaunten, wobei die Erwachsenen dazu mit den Armen ruderten. Stransky wußte nicht, ob man solcherart die Kinder zu ihm hindrängte oder von ihm wegscheuchte. Die Buben wirkten dabei ein wenig wie Hühner, lustige Hühner freilich. In den Gesichtern der Mädchen aber steckte etwas Freches und Herausforderndes. Und auch wenn das ein Gedanke war, der so nicht gedacht werden durfte, nicht von einem Mann wie Stransky, so kam ihm dennoch in den Sinn, daß es vielleicht ganz gut war, wenn diese Blicke demnächst hinter einem Schleier verschwinden würden. Auch wenn sie freilich nicht aufhören würden, zu bestehen, die Blicke. Das Freche wie das Herausfordernde.
    Nein, so etwas dachte man nicht als Professor einer westlichen Universität. Noch dazu als jemand, der mit Frauen nur die allerbesten Erfahrungen vorweisen konnte. Seine wunderbare Frau, seine wunderbare Tochter …
    »Wo bin ich?« fragte Stransky, während er die zerkauten Blätter in seine rechte Wange schob. Er wiederholte die Frage auf englisch und französisch. Dazu deutete er mit dem Zeigefinger auf den Boden, auf dem er saß, oder zumindest auf den Teppich, der diesen Boden bildete. Als Antwort bekam er etwas zu hören, was er so wenig verstand wie das Bisherige, aus dem sich aber ständig der Begriff »Allah« herausfiltern ließ, ein wenig wie in amerikanischen Filmen, wenn die Akteure ihre Sätze unentwegt mit einem »fuck« unterlegen oder wenn Schwaben ein beliebiges »also« von sich geben, die Vorarlberger ein noch beliebigeres »oder«, während kleine Kinder ihre Kommentare mit einem vorangestellten »gell« absichern.
    Wie auch immer, das Qat begann zu wirken. Stransky überlegte, daß er möglicherweise an einem Experiment teilnehme, dessen wesentlichster Aspekt darin bestand, nicht zu wissen, daß es ein Experiment war. Eine von diesen dämlichen Versuchsanordnungen, die darauf abzielten, Menschen in Extremsituationen zu befördern, nur um herauszufinden, daß sie mit Extremsituationen nicht umgehen konnten. Wahrscheinlich hatte er, Stransky, wieder einmal nicht nein sagen können und sich als Proband zur Verfügung gestellt, bevor man dann sein Erinnerungsvermögen manipuliert hatte. Auf daß eben auch getestet werden konnte, wie verdiente Professoren sich verhielten. Na ja, sie würden sich an ihm die Zähne ausbeißen. Er beschloß, sich nicht provozieren zu

Weitere Kostenlose Bücher