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Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Titel: Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Männer gezielt aneinander vorbei.
    »Er ist mein Feind«, dachte der Restaurator, ohne dafür einen wirklichen Grund angeben zu können. Aber er spürte es nun mal, spürte die Gegnerschaft des Croupiers, der nun erneut die Spieler bat, ihre Einsätze zu tätigen. Seine Stimme klang dabei so arrogant wie ein Stück Seife, das aus irgendeiner Hand rutscht. Ganz klar, dieser Croupier verachtete die Spieler an seinem Tisch, Zugreisende, Männer mit schiefen Krawatten, Frauen mit Alkohol im Blut.
    Der Restaurator widmete sich wieder seiner Arbeit.
    Na endlich! Die Tinktur zeigte doch noch eine Wirkung. Etwas tat sich, wie man sagt, endlich ist der Sommer da.
    Nun, so richtig Sommer wurde es nicht. Denn der Schmutz reagierte in einer anderen Weise, als er das hätte tun sollen. Er löste sich nicht auf, nein, er veränderte sich. Er nahm eine Gestalt an.
    Eine Gestalt!?
    Blödsinn! Flecken nehmen keine Gestalt an, zumindest keine konkrete. So wenig wie Mondkrater Gesichter ergeben und ein paar Feldwege oder zertrampelte Kornfelder auf die Landebahnen Außerirdischer verweisen. Wozu wäre ein solcher Aufwand denn gut? Sich einerseits verborgen zu halten, um dann höchst auffällige Zeichen der eigenen Existenz zu setzen. Sowas lassen sich nur Menschen einfallen. Leute, die ein hysterisches Verhältnis zu Kornfeldern haben.
    Und doch. Der Restaurator konnte nicht anders, als die Konturveränderung der Schmutzstelle dahingehend zu interpretieren, daß etwas wie ein Gesicht entstanden war. Ein Gesicht im Profil. Eine Nase stach so deutlich hervor wie ein Kinn. Nur Mund und Stirn waren regelwidrig verzogen, der Hinterkopf viel zu spitz, um als natürlich durchzugehen. Auch waren einige Übergänge zum Hintergrund stark verwaschen. Und doch: Der Flecken erinnerte an einen Scherenschnitt, ein Porträt, ein verunglücktes, mag sein, aber ein Porträt. Und hatte nichts mehr mit jener assoziationslosen Form zu tun, die vor dem Einsatz von Öckerös Sugpapper zu sehen gewesen war.
    »Ich fange an zu spinnen«, dachte der Restaurator. »Alle Leute in meinem Beruf fangen einmal zu spinnen an. Es ist wegen der vielen Chemie, die man dauernd in die Nase bekommt. Die Nase wird krank, dann auch der Rest.«
    Er griff sich an eben diese Nase und sagte mit gewollt fester Stimme: »Es gibt keine Gesichter auf Bildern, die nicht auch gemalt wurden. Ist das klar?«
    Und um dieses Gesicht, das also gar nicht bestand, nicht anschauen zu brauchen, drehte er sich um, lehnte sich an die Gerüststange und blickte wieder auf den Spieltisch. Er meinte zu erkennen, daß die Kugel soeben ein weiteres Mal in das Fach vor der Fünf gefallen war. Er erschrak. Bemerkte aber sogleich, daß auf der Anzeigetafel die Drei aufleuchtete.
    Dem Herrn sei gedankt! Drei war eine gute Zahl. Wenn man eine funktionierende Waffe besaß und ein flinker Schütze war, konnte man drei Männer mit Leichtigkeit von ihren Pferden schießen.

11
    Zur Vollendung der Welt
    Desprez konnte Hitze nicht ausstehen. Einerseits erinnerte sie ihn an einige unfreundliche Einsätze in unfreundlichen Ländern. Andererseits widersprach sie ganz prinzipiell seinen ästhetischen Empfindungen. Dieses Zuviel an Licht und dieses Zuviel an aufgewärmter Luft, meistens auch ein Zuviel an Feuchtigkeit und an Pflanzen und an Insekten. Auch ein Zuviel an Schatten, das mit dem Zuviel an Sonne einherging. Vor allem aber ein Zuviel an Fröhlichkeit, respektloser und geistloser Fröhlichkeit. Diese gewisse Bloßfüßigkeit des Lebens. Mit der Hautfarbe der Menschen hatte das nichts zu tun. Die Hautfarbe war für Desprez kein Thema. Was konnte auch schlimmer sein als waschechte Franzosen, die sich an warme Orte begaben, um dann eine Ausgelassenheit zum besten zu geben, welche die respektlose Fröhlichkeit der Einheimischen bei weitem übertraf. Von der Bloßfüßigkeit ganz zu schweigen.
    Desprez mochte es nicht, sich seines Jacketts entledigen zu müssen. Aber die Hitze zwang ihn. Die Hitze von Mauritius. Er saß auf der Rückbank eines ungekühlten Taxis und schlüpfte aus seiner Anzugjacke. Auf dem weißen Hemd prangten graue Flecken. Es sah aus wie bei einem dieser Zellexperimente, wenn wieder einmal versucht wurde, dreiköpfige Kaninchen zu züchten oder dreiköpfige Elsässer oder einen einköpfigen Zerberus.
    Er öffnete das Fenster. Na toll! Da hätte er sich auch gleich einen Fön ins Gesicht halten können. Also drehte er die Scheibe wieder nach oben und ließ nur einen Spalt frei. Gleich darauf

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