Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
zündete er sich eine Zigarette an. – Es fühlte sich gut an, die filterlose Gauloises zwischen den Fingern zu halten. Das mochte ein Klischee sein, eine filterlose Gauloises zwischen den Fingern eines Franzosen. Aber gab es ein schöneres Klischee?
Soviel zum Schönen.
Desprez war noch nie auf Mauritius gewesen, aber er kannte das benachbarte La Réunion, wo die Franzosen ein sogenanntes Überseedepartement besaßen, so wie manche Leute manchmal lieber auswärts schlafen, weil sie dann ein paar Dinge tun können, die man zu Hause nicht mal in den Mund nehmen darf. Jedenfalls war Desprez vor zwanzig Jahren nach Réunion gereist, als ihn der DGSE gerufen hatte, der französische Auslands-Nachrichtendienst. Er dachte ungern daran zurück. Nicht nur eingedenk der Hitze. Auch wegen des Desasters, das diesem Aufenthalt gefolgt war.
Gut, zwanzig Jahre waren lange vorbei. Was Desprez aber noch immer nicht leiden konnte, war, wenn Nichtfranzosen Französisch sprachen. Es machte ihn sauer, daß irgendwelche Indo-Mauritier und Kreolen mit ihm redeten, als wären sie seine Landsleute. Er hatte nie verstanden, weshalb Angelsachsen solchen Wert darauf legten, daß jeder auf diesem Planeten ihre kleine häßliche Sprache beherrschte. Wieviel netter war es, die eigene Sprache für sich zu behalten. Wie man eine Religion, ein Ritual, einen Witz, einen Partner, eine spezielle Weinsorte für sich behalten sollte. Dachte man denn wirklich, die Welt würde dadurch besser werden, daß überall Cabernet Sauvignon getrunken wurde?
Aber unseligerweise war es nun mal so. Der Taxifahrer hatte Desprez auf französisch empfangen und erklärte jetzt, wie ungewöhnlich heiß es für die Zeit sei. Immerhin habe man noch Winter. Nun, was eben Winter auf Mauritius genannt werde.
»Schon gut«, sagte Desprez. »Fahren Sie einfach.«
Der Fahrer schien nicht zu verstehen, redete weiter, über das Wetter, über die Alkoholpreise. Desprez hätte Lust gehabt, ihm augenblicklich von hinten in den Kopf zu schießen. Aber Taxifahrer waren eine Macht für sich. Man mußte einfach zusehen, die Nerven zu behalten und eine solche Fahrt unbeschadet zu überstehen.
Desprez behielt seine Nerven und verließ den Wagen in einer kleinen Seitenstraße, die im Chinesenviertel von Port Louis lag. Er sah sich nicht lange um, dann betrat er das Restaurant, vor dem er abgesetzt worden war. Gewissermaßen hatte er nichts anderes getan, als von einem Chinarestaurant mitten in Paris in ein Chinarestaurant mitten im Indischen Ozean zu wechseln. Wobei letzteres den Schick von ersterem vermissen ließ und genau so aussah, wie sich Millionen nichtchinesischer Süß-sauer-Schweinefleisch-Fresser das vorstellen. Drachen an der Wand. Schlangen an der Wand. Bier aus Tsingtau.
Ein einziger Tisch war besetzt. Um ihn herum saß ein Dutzend Männer und Frauen, die sich sofort erhoben hatten, als Desprez bei der Türe hereingekommen war. Man grüßte ihn mit »Kommandant« und salutierte.
»Wir sind nicht im Krieg«, sagte Desprez. »Noch nicht. Wo ist Stransky?«
»Er muß hier in Port Louis sein«, gab eine Frau zur Antwort. Eine Frau von der Sorte, mit der nicht gut Kirschen essen war.
»Wer sagt das?«
»Unser Informant«, erklärte die Frau.
»Geht es genauer?«
Die Frau berichtete, daß zwei Personen, die mit großer Wahrscheinlichkeit für Dr. Antigonis arbeiten würden, ein griechischer Detektiv und eine deutsche Polizistin, in Port Louis eingetroffen seien. Und das könne ja wohl kein Zufall sein. Außerdem wisse man, daß eine englische Segelyacht zwei Männer hier abgesetzt habe, auf welche die Beschreibung von Stransky und Vartalo zutreffe. Passenderweise sei dieses Boot von einer Ortschaft nahe Aden in See gestochen.
»Was für ein Detektiv, was für eine Polizistin?« fragte Desprez.
»Der Mann heißt Kallimachos, die Frau Steinbeck.«
»Spiridon Kallimachos?« Desprez riß die Augen auf, als sei er eine erweckte Mumie.
Die Frau zuckte mit der Schulter.
»Hören Sie gefälligst auf, mit den Schultern zu zucken«, bellte Desprez.
Die Frau senkte die breiten Kacheln und erklärte: »Ein bißchen merkwürdig ist das schon. Dieser Kallimachos ist ein fetter, alter Mann, der sich kaum bewegen kann. Darum haben wir zunächst auch bezweifelt, daß er wirklich zu Antigonis’ Leuten gehört. Eher gehört er in ein Altersheim.«
»Sie werden sich wundern«, verkündete Desprez. »Sollte es sich in der Tat um Spiridon Kallimachos handeln, dürfen wir uns keine
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