Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
langgezogenen Neonschrift und meinte: »Was für ein Name!« Und: »Das mit der Dronte kann eigentlich nur ein Gag sein.«
Kallimachos zündete sich eine Zigarette an und sagte: »Hotel.«
Offensichtlich wollte er sich ausruhen, bevor es weiterging. Und weitergehen würde es ja wohl müssen.
Saint Paul, 38º 43' südlicher Breite, 77º 32' östlicher Länge. Ein wirklich entlegener Ort, einer von denen, wo Golfbälle landen, die man nie wieder findet.
12
Wirklichkeit ist das Fossil einer Fiktion
Die Lulu war schon ein echtes Prachtstück, gewissermaßen die Aglaia unter den Expeditionsschiffen. Ein Boot als futuristischer Raumgleiter, kein unhandliches Mehrstockgebäude mit Tausenden von Knöpfen und einem verrückten Computer, sondern ein schnittiges Schiff in Anthrazit, das in seiner Form an einen Tarnkappenbomber erinnerte. Wissenschaft als militärische Option. Und tatsächlich war dieses Boot im Auftrag der französischen Armee entwickelt worden. Auch die Leute an Bord erinnerten eher an durchtrainierte Agenten als an Biologen und Meteorologen, obwohl sie genau das waren, aber eben die durchtrainierte und agentenhafte Variante.
Selbstredend verfügte dieses Boot über modernste Technik, allerdings kam diese Technik nicht mehr so daher, wie man sich das vorstellte, als ein Gewebe aus unzähligen kleinen Lämpchen und Monitoren und Reglern. Nein, hier fehlte das lodernde Kaminfeuer der Zukunft. Die Gemütlichkeit war dahin, es hatte sich ausgeblinkt. Bauhaus.
Auch ernährte man sich nicht von Würstchen aus der Dose und Bohnen aus der Dose, sondern knabberte an japanischen High-Tech-Keksen, in denen so gut wie alles steckte außer Nikotin und Alkohol. Somit fehlte der typische Kombüsengeruch, wie auch der Gestank von Benzin und defekten Toiletten. Auch fehlten Fensterluken. Staub verschwand, bevor man ihn bemerken konnte. Das Boot fuhr wie auf Schienen dahin. Man mußte schon nach draußen gehen, um festzustellen, sich auf hoher See zu befinden. Die Lulu mochte eine gefinkelte Konstruktion sein, aber wie das meiste Gefinkelte zerstörte sie romantische Vorstellungen. Das Gefinkelte kam in die Welt, um so gut wie nichts von dem übrigzulassen, was uns lieb und heilig ist. Oder was wir auch nur hassen.
Stranskys französischer Freund und Kollege, ein Monsieur Legrand, der diese Expedition leitete, war natürlich einigermaßen erstaunt gewesen, als sich Stransky aus dem Funkraum der britischen Aglaia gemeldet und seine Ankunft in Port Louis angekündigt hatte. Legrand war soeben mit den letzten Vorbereitungen der Abreise nach Saint Paul beschäftigt gewesen und hatte nicht so recht gewußt, was er von den unklaren Aussagen seines deutschen Kollegen halten sollte. Stransky hatte von einem Notfall gesprochen, ohne den Notfall zu beschreiben. Und daß er gerade dabei sei, seine deutsche Heimat auf die komplizierteste Weise anzusteuern. Die populären Flecken auslassend beziehungsweise von hinten herum. Ja, so hatte er sich ausgedrückt: von hinten herum.
Legrand fragte sich, ob Stransky ein bißchen verrückt geworden sei. Überlegte dann aber, daß vielleicht ein mysteriöser Instinkt den deutschen Kollegen gerade jetzt nach Mauritius geführt habe, da jemand ernsthaft behauptete, auf Saint Paul auf einen Vogel gestoßen zu sein, der nicht nur einfach einer Dronte ähnelte, sondern bei dem es sich eindeutig um einen flugunfähigen, dickschnabeligen, in keiner Weise scheuen, ein wenig vertrottelt anmutenden, gelbfüßigen, truthahngroßen, kurzflügeligen Vertreter der Art Raphus cucullatus, auch Dodo genannt, gehandelt habe. Diese Information stammte von einem recht bekannten Hobbysegler und Hobbyornithologen. Jemand, dem man vertrauen konnte. Auch wenn natürlich ein Irrtum vorlag, vorliegen mußte. Aber auch dieser Irrtum wollte erst einmal geklärt werden. Und genau in diesem Moment tauchte also der für das Aufspüren ausgestorben geglaubter Tiere berühmte Georg Stransky auf und bat um nicht näher definierte Hilfe bei seinem Versuch, »von hinten herum« nach Deutschland zu gelangen.
Da Monsieur Legrand wenig davon hielt, eine Sache zu verschweigen, die sich ohnehin als Irrtum herausstellen würde, hatte er offen von der Drontengeschichte gesprochen und Stransky dazu eingeladen, an der Reise nach Saint Paul – die sowieso routinemäßig anstand – teilzunehmen. Vielleicht auch darum, weil Georg Stranskys unerwarteter, aber zielgenauer Auftritt einem höheren Zeichen gleichkam und die wilde Hoffnung
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