Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
spürt –, als sie beide also am Grund des kurzen Abhangs zu stehen gekommen waren, unternahm Lilli nichts, um sich zu befreien. Sie wußte, wie fatal dies gewesen wäre. Sie konnte diesem Messer nicht entkommen, wenn ihr Gegner es nicht wollte. Freilich blieb sie nicht tatenlos. Sie verließ sich ganz auf eine äußerst simple Psychologie, indem sie vollends erschlaffte, ihre Schultern einzog, sämtliche Schultern, wenn man sich alles und jedes mit einer Schulter dachte, und sodann einzig und allein ihren Busen aufblähte, sprich, ihn mittels ihrer Atmung herausdrückte.
Ja, natürlich, ja, das ist ein fürchterliches Klischee. Aber man kann es nicht ändern, genau so möchten Männer Frauen haben: wehrlos, kraftlos, im Zustand des Hinsinkens, jedoch mit einem Busen ausgestattet, der nicht unbedingt groß oder fest sein muß, aber in markanter Weise merkbar. Man könnte sagen, der Busen soll das einzig aktive Element der Frau sein. Die Frage der Intelligenz bleibt dabei gänzlich unberührt. Es geht allein um das Körperliche. Denn Männer können sich das Körperliche als etwas Autonomes vorstellen. Und es hat etwas für sich, wenn Jack Lemmon in Manche mögen’s heiß den Gang Marilyn Monroes so kommentiert: »Als ob die irgend etwas eingebaut haben, irgendeinen Apparat.«
Lilli Steinbeck tat jedenfalls, was sie für vernünftig hielt. Sie entspannte sich, nur ihren Busen nicht.
Es schien zu wirken. Nicht, daß der Mann sein PessoaMesser wegnahm oder den Griff lockerte. Aber er reagierte. Beinahe war es so, daß er Lilli Steinbeck stützte, als glaube er sie nahe einer Ohnmacht. Dann fragte er: »Gehören Sie zu denen?«
»Dazu müßte ich wissen, wen Sie meinen.«
»Sagen Sie mir, für wen Sie arbeiten«, gab der Mann den Ball zurück an Lilli.
»Eigentlich für die Polizei«, blieb Lilli bei der Wahrheit. »Und wenn ich Ferien habe, für Dr. Antigonis. Und derzeit habe ich Ferien. Darum bin ich ja auf einer Insel.«
»Einen Club Med werden Sie hier nicht finden.«
»Macht nichts. Schließlich bin ich gekommen, um Herrn Stransky mitzunehmen.«
Gleich darauf vernahm Lilli Steinbeck eine weitere Stimme, die eines Mannes, der den anderen aufforderte: »Lassen Sie die Frau doch los.« Es mußte Stransky sein. Sein Deutsch war unverkennbar.
»Ob das eine gute Idee ist?« fragte sich der Mann, der hinter Lilli stand und der niemand anderer als Joonas Vartalo sein konnte. Dennoch führte er das Messer von ihr weg, löste die Umklammerung und trat einen Schritt zurück, rasch, wie um einer Ohrfeige auszuweichen.
»Na also«, sagte Lilli, als sie jetzt Stransky erblickte, dessen Gesicht und Gestalt sie ja von einigen Abbildungen kannte. Allerdings wirkte der Mann in diesem Moment weit weniger frisch und agil als auf seinen Familienfotos. Ausgesprochen bleich, trotz langer Seereise. Während hingegen Vartalo sich in seinem Element zu befinden schien. Ein Legionär war praktisch immer auf Urlaub. Auch wenn er die Seite gewechselt hatte.
»Was hatte die Schießerei zu bedeuten?« fragte Steinbeck.
»Wir sind nicht allein hier«, äußerte Vartalo. »Desprez ist bereits vor uns gelandet.«
»Desprez?«
»Die rechte Hand von Esha Ness.«
»Esha Ness?«
»Sie scheinen sich nicht auszukennen«, bemerkte Vartalo.
»Haben Sie schon mal eine Polizei erlebt, die sich auskennt?« fragte Steinbeck und lächelte wie ein Strauß Vergißmeinnicht.
Vartalo war ein klein bißchen hingerissen von diesem Lächeln, obgleich natürlich auch ihn die deformierte Nase Lilli Steinbecks irritierte. Jedenfalls erklärte er, daß Esha Ness der weibliche Antipode zu Dr. Antigonis sei. Die Dame also, welcher sehr daran gelegen sei, daß Stransky sterbe.
»Ach ja«, meinte Steinbeck. »Aber ich kenne noch immer nicht den Sinn einer solchen Tötung.«
»Ich auch nicht«, sagte Vartalo. »Das wäre aber auch was Neues, zu wissen, warum etwas geschieht. Warum ein Krieg geführt wird oder warum man ihn beendet. Ich weiß, wovon ich rede.«
»Sie reden wie ein Pazifist.«
»Wollen Sie mich beleidigen?«
»Gottes willen, nein!«
»Dann lassen Sie das. Wir sollten lieber zusehen, so rasch als möglich von der Insel zu verschwinden. Desprez hat eine ganze Truppe flinker Fallschirmjäger bei sich. Wir sind denen nur knapp entkommen. Ich denke, ich habe zwei von ihnen erledigt. Aber zwei sind leider zu wenig.«
»Nein, wir bleiben hier«, bestimmte Stransky im störrischen Ton der Kinder und Naturwissenschaftler. Und erklärte:
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