Lilly Höschen (01): Walpurgismord
ist? Wenn Lilly durch den Ort ging, sah sie an jeder Ecke Leute tuscheln. Und wenn sie nahe an den Leuten vorbeiging, wurde auffällig freundlich gegrüßt. Lilly hasste das. Übergroße Freundlichkeit war für sie schon immer ein Zeichen für ein schlechtes Gewissen. Aber insgeheim amüsierte sie sich natürlich, was man ihr offenbar alles zutraute.
Am Wochenende kam wieder Klaus aus Hannover zu Besuch. Er hatte Lilly versprochen, sich um ihre Steuerangelegenheiten zu kümmern, denn das war sein Fachgebiet. Amadeus wohnte seit Montag ohnehin bei seiner Tante. Und auch Marie wollte am Samstag hier übernachten. Und natürlich kam Eddy, der seiner Freundin Lilly seit dem Mord nicht mehr von der Seite wich. Als alle da waren, sagte Lilly:
»Ich denke, ich ziehe mich jetzt mit Klaus zurück, damit wir die leidige Steuergeschichte endlich aus der Welt schaffen. Marie und Amadeus, wenn ihr euch um die Salate kümmern könntet, dann wäre ich euch sehr dankbar. Und Eddy, du stellst bitte Getränke kalt. Wenn ich mit Klaus fertig bin, können wir den Grill anschmeißen.«
Nachdem Klaus sich an Lillys Schreibtisch einen Überblick verschafft hatte, raufte er sich die Haare.
»Sag mal, Lilly, bist du eigentlich nie auf die Idee gekommen, für das, was dein Onkel für dich in der Schweiz angelegt hat, Steuern zu zahlen?«
»Um Gottes Willen. Onkel Paul hat immer gesagt, ich soll dem Finanzamt nichts in den Rachen schmeißen. Das ist nun schon über zwanzig Jahre her. Und niemand hat mich je nach meinem Geld in der Schweiz gefragt. Es geht doch das deutsche Finanzamt nichts an, was ich in einem anderen Land besitze.«
»Lilly, oh Lilly. Ist dir wirklich nicht bewusst, dass du mit einem Bein im Gefängnis stehst?«
»Das ist ja furchtbar! Was soll ich denn jetzt machen? So viel Geld ist es ja auch nicht.«
»Du hast zwanzig Jahre lang ordentliche Zinsen bezogen. Wie bist du eigentlich an das Geld rangekommen?«
»Ich fahre einmal im Jahr in die Schweiz, lass mir die Zinsen auszahlen und mache davon einen schönen Urlaub. An das Kapital selbst wollte ich gar nicht rangehen, weil ich es nicht brauche. Das kann ich dann irgendwann mal, wenn ich den Löffel abgebe, Amadeus vererben.«
»Na, der wird sich bedanken; ein Anwalt, der ein Schwarzkonto erbt.«
»Ach, dass du immer so negativ sein musst. Lass dir etwas einfallen, wie ich das Geld legalisieren kann. Schließlich bist du der Rechtsverdreher.«
»Das einzige Mittel der Legalisierung ist die Selbstanzeige.«
»Ich glaube, jetzt bist du verrückt geworden.«
Als Lilly und Klaus in den Garten kamen, hatte Eddy bereits den Grill angeworfen, die Salate standen bereit und die Getränke lagen in einer Wanne mit Trockeneis. Die kleine Schar hatte sich auf einem Plateau unterhalb der Bank, auf der die Tote gefunden worden war, niedergelassen. Als Lilly auf die Bank blickte, sagte sie:
»Ich glaube, die Bank werden wir wohl wegwerfen müssen. Ich setze mich da jedenfalls nicht mehr drauf.«
»Das wäre schade«, antwortete Amadeus. »Ich kann sie ja Maries Vater mitbringen; er hat gerade eine Bank zersägt, um meinen Finger zu retten.«
»Ich warne dich«, rief Marie, und Amadeus und Klaus fingen an zu lachen.
»Wer, um Himmels Willen, hat bloß die arme Frau Gutbrodt abgemurkst?«, fragte Lilly in die Runde.
»Ich dachte, das sei klar«, sagte Eddy ganz erstaunt. »Ihr Mann hat es getan, weil seine Frau ihn unmöglich gemacht hat. Das nennt man Rache. Außerdem ist er verschwunden.«
»Das ist mir alles zu fadenscheinig«, antwortete Lilly. »Außerdem traue ich es ihm nicht zu. Als ich ihn das letzte Mal...«. Jetzt hätte Lilly sich fast verplappert.
»Als du ihn das letzte Mal was?«, fragte Amadeus erstaunt.
»Ach, nichts.«
»Verschweigst du mir etwas, Erbtante?«
»Sei nicht so penetrant, Junge, sonst hat es sich bald ausgeerbt. Dann verkaufe ich mein Häuschen, ziehe in die Südsee und bringe mein Geld mit jungen Männern im Lendenschurz durch.«
Jetzt lachten alle und niemand kam mehr auf die Idee, dass sie etwas verheimlichte. Unten im Haus klingelte das Telefon.
»Ich habe keine Lust, die vielen Stufen hinunterzugehen«, sagte Lilly.
Schließlich machte Amadeus sich auf den Weg. Nach ein paar Minuten war er zurück und sagte ganz erstaunt:
»Ihr glaubt nicht, was ich gerade erfahren habe. Der Kommissar hat angerufen. Sie haben Gutbrodt. Er hat sich gestellt.«
Clausthal-Zellerfeld, 28. Juli 2010
Hans Gutbrodt war wieder zu Hause. Er hatte
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