Lilly unter den Linden
wählte Servietten und zwei passende Kerzen dazu aus. Dann fuhr ich zu Hause vorbei, um Pascal guten Tag zu sagen. Aber die Wohnung war still und leer, seine Toilettensachen verschwunden, die Heizung abgestellt – er war wieder abgereist, ohne mir zu sagen wohin, geschweige denn, sich zu verabschieden!
Ich ließ mein feierlich erworbenes Teezubehör ins Spülbecken fallen und meinen Tränen freien Lauf. Ja, es stimmte, ich hatte kaum mit ihm gesprochen, als er mich tags zuvor zur Schule zurückbrachte. Aber das war doch kein Grund, klammheimlich zu verschwinden!
Plötzlich ergriff mich eine schreckliche Vorahnung. »Geh nie ohne ein freundliches Wort; es kann sein, dass du den anderen nicht wiedersiehst«, hatte Mami mir oft genug eingebläut … Halb in Panik stürzte ich ins Schlafzimmer und riss Pascals Kleiderschrank auf.
Erleichterung! Alles war an seinem Platz, es war wohl nur wieder irgendein Auftrag. Jetzt war ich nur noch wütend auf ihn, als ich die Teetafel für Meggi und mich vorbereitete. Merkte er denn gar nicht, wie gemein er war? Ich wollte ja gern freundlicher zu ihm sein, aber immer passierte irgendetwas, es wollte einfach nicht klappen …
»Der Typ ist einfach überfordert«, erklärte Meggi am nächsten Tag, als wir an unseren Teetassen schlürften. Der Tee war gut gelungen, Plätzchen und Kerzen dufteten. Es war richtig adventlich, wie wir so an unserer Küchenbar saßen, und wir kamen uns sehr erwachsen vor.
»Überfordert?«, wiederholte ich. »Wovon denn?«
»Von der Situation«, meinte Meggi. »Was weiß ich? Ich kenne ihn doch gar nicht.«
»Er macht, was er will«, sagte ich. »Wenn ihn das überfordert, ist er selber schuld.«
»Vielleicht fühlt er sich unzulänglich«, bot Meggi an.
Ich stellte meine Tasse ab. »Unzulänglich«, wiederholte ich. Es fehlte nicht viel und ich hätte mir an die Stirn getippt.
»Warum denn nicht?«, fragte Meggi leicht gereizt. »Musst du eigentlich dauernd alles wiederholen, was ich sage?«
Wenn’s Stuss ist, schon, dachte ich, aber das sagte ich natürlich nicht. Ich war ja froh, dass Meggi da war, auch wenn sie sich anhörte wie Dr. Alexander Borell, der Sorgenonkel aus der Fernsehzeitung. »Erzähl mir lieber von deinen Katzen«, sagte ich.
Weiter kamen wir nicht. Die Wohnungstür flog auf und knallte gegen die Garderobe, und im Flur erklang ein solches Gepolter, dass uns beinahe die Tassen aus der Hand fielen. Wir starrten einander an – ich sehe Meggi noch vor mir, mit offenem Mund und der Hand in der Plätzchenschale – und konnten uns vor Schreck nicht rühren. Dann sah ich eine Bewegung an der Küchentür vorbei und eine altbekannte Zottelmähne, die hinter brauner Pappe in Richtung Wohnzimmer wippte.
Er musste auch etwas gemerkt haben, denn plötzlich wurde es still, dann kam als Erstes die Pappe wieder ins Blickfeld, und schließlich sahen wir uns Auge in Auge mit Pascal Plotin, der mehrere ausgeklappte Umzugskartons umklammerte.
Meine feurigen Blicke waren leider nicht im Stande, sie in Flammen aufgehen zu lassen. »Pascal Plotin – Meggi Pfeiffer«, sagte ich mit einer sehr knappen Handbewegung vom einen zur anderen.
»Tach«, sagte Meggi verdutzt.
»Hallo Mädels«, Pascal hob für einen Sekundenbruchteil eine Hand von der Pappe, um zu winken. Dann verschwand er eilig mit seinen Kartons.
»Das war er?«, raunte Meggi. »Ich nehme alles zurück. Was für ein komischer Vogel!«
»Entschuldige mich mal kurz«, erwiderte ich würdevoll und rutschte von meinem Barhocker.
Im Wohnzimmer ging ich sofort zum Angriff über. »Kannst du mir sagen, was du da machst?«, zischte ich, obwohl die Sachlage ganz eindeutig war – Pascal faltete gerade einen Umzugskarton zusammen – und auch über das Ziel der Aktion kein Zweifel bestehen konnte.
Pascal ging auch gleich in die Offensive: »Ein paar von den Büchern gehören mir, hast du das vergessen?«
Wir standen einander gegenüber wie ein Ehepaar im Scheidungskrieg. Unfassbar, unerträglich, blitzartig ziehen gute und schlechte Tage an einem vorbei und es tut einfach nur furchtbar weh. »Verdammt, Lilly«, sagte Pascal rau. »Woher sollte ich denn wissen, dass du ausgerechnet heute …! Ich … ich wollte es dir ja sagen, aber wann denn? Ich ziehe in eine WG, das ist alles.«
»Das ging ja schnell«, sagte ich verbissen. Da war es wieder, das Gefühl ohnmächtiger Wut und Trauer, das ich am Bahnhof auch Lena gegenüber verspürt hatte. Ich hätte mich am liebsten auf
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