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Lilly unter den Linden

Lilly unter den Linden

Titel: Lilly unter den Linden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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hat?«
    »Leider nicht«, erwiderte Lena. »Das ist nämlich alles abgeholt worden.«
    Ich sah sie verständnislos an.
    »Von der Stasi«, erklärte sie. »Die haben ihr Zimmer erst versiegelt und später alles mitgenommen. Nur die Kindersachen haben sie nicht interessiert.«
    »Als ob sie eine Verbrecherin wäre!«, rief ich empört.
    »Für die Stasi war sie das ja auch«, sagte Lena. »Eine Landesverräterin. Die kennen da kein Pardon.«
    »Und wenn sie sie erwischt hätten …?« Ich wagte den Gedanken nicht zu Ende zu denken.
    Lena sah mich an und zögerte kurz. Bedächtig strich sie den Staub von einem Album, bevor sie es in seine Kiste zurücklegte. »Man weiß inzwischen, dass die Bundesrepublik politische Häftlinge freikauft«, antwortete sie dann behutsam. »Ich glaube, irgendwann wäre deine Mutter im Westen gelandet, so oder so.«
    »Freikauft …«, echote ich erschrocken. Das Wort klang unheimlich, wie so manches in diesem Land von Dingen überschattet wurde, die ich nicht verstand. »Wie gut, dass alles geklappt hat!«, sagte ich aus tiefstem Herzen.
    Lena lächelte.
    Später habe ich noch oft an meine Worte gedacht und mich dafür geschämt, dass ich trotz aller Andeutungen und Zweifel nie zwischen den Zeilen gelesen, nie eins und eins zusammengezählt, nie auch nur gefragt hatte.
    Aus dem Gartenhaus konnten wir Katrins klagende Balladen hören, als wir zur »Weihnachtsgala in der Kleinkunstkneipe« aufbrachen, bei der Lena an diesem Abend einen Auftritt hatte. Katrin sang und schrammte schauerlich auf der schlecht gestimmten Gitarre herum, mich wunderte, dass kein einziger Nachbar klingelte, um zu protestieren.
    Ich wunderte mich auch über Onkel Rolf. Nach jeder Mahlzeit an diesem Tag hatte er sorgfältig ein Tablett zurechtgemacht, es wie ein Butler ins Gartenhaus getragen und Katrin beim Essen Gesellschaft geleistet. Und nicht nur das Notwendigste, sogar Kakao, Kuchen und Plätzchen hatte Katrin bekommen. Selbst vom Gartenhaus aus hatte sie ihre Familie noch voll im Griff. Es war mehr als merkwürdig.
    Aber den Abend in der Kleinkunstkneipe verpasste sie dennoch. Die »Kleinkunstkneipe« war nichts anderes als ein Café mit einer Bühne und befand sich in der Nähe der Universität. Am Eingang wurden noch Eintrittskarten verkauft, obwohl der kleine Saal schon berstend voll war; bis in den Flur drängten sich junge Leute. Lena verabschiedete sich im Treppenhaus von uns – oder auch nicht, denn als sie ihre Bandkollegen dort entdeckte, wurde sie ganz professionell und zog mit ihnen davon, ohne uns weiter zu beachten. »So ist das mit den Künstlern«, scherzte Onkel Rolf.
    Die Managerin der Kneipe, Sandra, hatte drei Plätze an einem der vorderen Tische für uns freigehalten. Ein junges Pärchen saß bereits an unserem Tisch, und der Mann strahlte, als er Rolf sah. »He, Rolf! Ich wusste gar nicht, dass Lena das noch macht!”
    »Doch, doch«, sagte Rolf und gab ihm die Hand. »Jeden ersten Freitag im Monat. Sie nennen sich The Mousetrap .«
    Er erzählte mir, dass Lena mit dem Musizieren begonnen hatte, als er das Klavier seiner Großtante mit in den Haushalt brachte. Die Band probte von Frühjahr bis Herbst im Gartenhaus – daher der Name »Mausefalle« – und gab jedes Jahr auch ein kleines Konzert mit Grillparty für die Nachbarschaft, die den Krach so klaglos ertrug. So schlimm konnte es allerdings nicht sein, denn zwei Tische weiter saßen und winkten einige Nachbarn; sie kamen also auch freiwillig und ohne Grillparty.
    Im Vorprogramm trat ein weißgeschminkter Pantomime auf, der allerlei Clownerie mit einem Spiegel veranstaltete. Dann wurde das Licht abgedimmt und im Halbdunkeln kamen Lena und ihre vier Musiker auf die Bühne. Sie fingen erst an, als es ganz still war, und spielten zunächst ein ruhiges Lied ganz im Dunkeln. »Das ist ihr Markenzeichen«, flüsterte Till mir zu. »Das machen sie immer so.«
    Plötzlich gab es einen Trommelwirbel, Scheinwerferlicht fiel auf die Bühne und die Band rockte richtig los. Lena saß am Klavier, an dem ein Mikrofon befestigt war, es gab zwei Bassisten, einen Schlagzeuger und sogar einen Mann mit einem Saxofon. Es war das erste Konzert meines Lebens, und dass Sound und Technik nach Lenas Ansicht hier zu wünschen übrig ließen, fiel mir gar nicht auf. Die rhythmischen Klänge und Lenas rauchige Stimme elektrisierten mich.
    Lena war kaum wiederzuerkennen. Sie hatte die Haare toupiert, trug ein ziemlich gewagtes Kleid und knallroten

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