Lilly unter den Linden
hatte mich mit seinem Charme bereits eingewickelt und ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen, selbst wenn das auf Kosten von Onkel Rolf ging.
»Sie … Sie haben sie wohl lange nicht gesehen?«, fragte ich.
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte Bernd und beugte sich vor. »Und du? Erzähl mal. Hast du’s schon bereut?«
»N-nein«, sagte ich zögernd. »Das heißt …«
»Alte Geschichten, hm?«, meinte er.
»Ja«, seufzte ich dankbar und rutschte von der Sofalehne in den Sitz. Es tat unerwartet gut, sich auch einmal einem Nicht-Familienmitglied anzuvertrauen. »Katrin kann mich nicht ausstehen«, gestand ich. »Sie wohnt jetzt im Gartenhaus und will erst wieder hervorkommen, wenn ich weg bin.«
»Das ist aber gar nicht nett von ihr«, entgegnete Bernd kopfschüttelnd. »Sie hat ja ein schweres Päckchen zu tragen, aber dafür kannst du doch nichts! Und die arme Rita hat das ganz sicher auch nicht so gewollt …« Er sah mich an.
In der Nähe der Sofaritze befand sich ein Loch im Polster. Ich fühlte, wie sich mein Zeigefinger hineinbohrte und auf eine schon krümelige Füllung stieß. Ich bohrte immer tiefer, während ich darauf wartete, dass er weitersprach. Ich wollte das Sofa nicht noch mehr kaputtmachen, aber ich konnte einfach nicht damit aufhören. Ich ahnte, dass etwas auf mich zukam, wovor ich seit Wochen Angst hatte, dass jemand im Begriff war, all die kleinen Puzzleteilchen zusammenzusetzen, von denen ich längst wusste, dass sie da waren, und doch hoffte, ihnen nie zu begegnen …
Aber Bernd plauderte unbefangen weiter: »Lilly, ich muss sagen, es imponiert mir, dass du diesen Schritt überhaupt gewagt hast. Es ist eine Menge passiert, aber das ist eine echte Chance, ein Neuanfang für euch alle! Wenn du mich fragst … dranbleiben, unbedingt dranbleiben! Ich nehme an, wenn ihr alles untereinander geklärt habt, werdet ihr euch um eine dauerhafte Einreise für dich bemühen?«
»Ich glaube schon …«, erwiderte ich schwach.
»Auf meine Hilfe kannst du jedenfalls zählen!«, versprach er. »Ich bin … hm, sagen wir, in einer Position, in der ich manches bewegen kann.«
Er kam nicht dazu, mir die Einzelheiten zu erläutern, denn die Tür flog auf und Lena und Till kamen herein. Lena musste neben dem Fahrrad hergelaufen sein, sie war völlig außer Atem und sah, wie man auch von Bernd Hillmers Reaktion unschwer ableiten konnte, ausgesprochen rosig aus. Er fand sie ganz offensichtlich immer noch so anziehend, dass es sofort um sein Selbstbewusstsein geschehen war. Er sprang aus dem Sessel und stammelte: »Lena …?!«
Meine Tante strich sich das vom Laufen zerzauste Haar aus der Stirn und gab ihm gefasst die Hand.
»Bernd … wie schön«, behauptete sie, aber ihr Blick wich ihm aus und es war nicht zu übersehen, dass sie die Begegnung alles andere als schön fand.
»Ich musste doch mal nach euch sehen«, sagte Bernd verlegen. »Hat alles geklappt?«
»O ja«, antwortete Lena. Sie schien nach Worten zu ringen. »Wir können gar nicht wieder gut machen, was du für uns tust … oder schon getan hast.«
»Ich würde es wieder tun«, entgegnete Bernd mit einem halben Lachen.
Lena lächelte. »Danke«, sagte sie schlicht.
»Tja«, antwortete Bernd, kratzte sich am Kopf und wandte sich in seinem Unbehagen Till zu, der mit verschränkten Armen neben Lena stand und ihn finster anstarrte. »Und du bist der kleine Sohn?«, fragte er kumpelhaft.
»Muss wohl«, sagte Till ablehnend.
Eine seltsame Spannung lag im Raum. Mein elfjähriger Cousin stand neben seiner Mutter, als wolle er sie verteidigen – wovor, war mir schleierhaft –, und dem netten, selbstsicheren Mann, mit dem ich eben gesprochen hatte, stockte mit einem Mal die Zunge. Das konnte doch unmöglich nur an der gescheiterten Liebe zu Lena liegen! Bernd machte eine etwas linkische Armbewegung und ließ seinen Blick durchs Zimmer schweifen.
»Kann ich sonst noch irgendetwas für euch tun?«, bot er an. »Die Wohnung habt ihr ja gut in Schuss. Aber diese alten Holzdielen … weißt du was? Ich kenne da jemanden, der soll euch mal ein gutes Angebot machen für eine richtig schöne moderne Auslegeware!«
»Das ist nicht nötig«, wehrte Lena sofort ab.
Aber Bernd begann bereits den Raum zu durchschreiten, Quadratmeter zu messen und in ein kleines schwarzes Notizbuch einzutragen. »Lena, ich bitte dich, das ist doch eine Kleinigkeit«, behauptete er.
»Wir haben alles! Wir brauchen nichts!«, sagte Lena peinlich
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