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Lilly unter den Linden

Lilly unter den Linden

Titel: Lilly unter den Linden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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berührt.
    »Da seid ihr die Einzigen, die ich kenne«, versetzte Bernd und marschierte mit Meterschritten in den Flur.
    Meine Tante gab sich einen Ruck, folgte ihm hinaus und stellte sich direkt in seinen Weg. »Lass das, Bernd. Bitte!«, sagte sie scharf.
    Bernd sah sie an, dann steckte er langsam sein Notizbuch weg. »Es ist meinetwegen, habe ich Recht? Es hat sich nichts geändert. Wenn’s gar nicht anders geht, falle ich euch wieder ein, aber ansonsten wollt ihr nichts mit denen zu tun haben, die sich auch mal die Hände schmutzig machen für den Aufbau des Sozialismus.«
    Lena wollte etwas sagen, aber er unterbrach sie. Seine Stimme, eben noch bitter und verletzt, war plötzlich schneidend. »Ihr seid doch nichts als Papiertiger. Ihr haltet eure Bücher hoch – so sauber und gerecht soll alles sein! –, aber wenn das nicht funktioniert, nicht funktionieren kann, dann bitte ohne euch! Ich dachte, es ist ein bisschen Zeit ins Land gegangen, man kann sich wieder als Freunde begegnen … Aber bitte, ich weiß ja jetzt Bescheid. Auf Wiedersehen, Lilly.«
    »Auf Wiedersehen«, sagte ich schüchtern. Die anderen zwei schwiegen. Bernd Hillmer, der Freund aus Jugendtagen, drehte sich auf dem Absatz um und verließ, ohne sich noch einmal umzuschauen, die Wohnung, in der er vor Jahren aus und ein gegangen war.
    Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, sah Lena mich an. Ich spürte, wie gedemütigt sie war, obwohl ich nicht recht verstand, was eben passiert war. »Machen wir uns einen Kakao?«, fragte ich unsicher.
    Lena legte den Arm um Till und mich, und wir gingen zusammen in die Küche. »Wenn Freunde, die einmal dasselbe Ziel hatten, sich auf zwei verschiedenen Seiten wiederfinden, ist das für alle viel schlimmer, als wenn sie von Anfang an eine andere Meinung haben«, erklärte sie uns, während sie den Kakao in die Tassen rührte.
    »Aber er ist nett«, wandte ich ein. »Mami mochte ihn.«
    »Er hat sich für die andere Seite entschieden, Lilly«, wiederholte Lena und Ärger blitzte in ihren Augen auf. »Schlimm genug, dass wir ihn um Hilfe bitten mussten.«
    Bernd arbeitete für das Ministerium, das die Menschen in diesem Land überwachte, und Lena gehörte zu denen, die sich jeden Tag davor in Acht nehmen mussten. So einfach und gleichzeitig so schwer zu verstehen war das.
    Nach all dem anderen, was Bernd Hillmer angedeutet hatte, fragte ich sie nicht. Es lag nicht nur daran, dass ich die Unruhe erst einmal verdauen musste, die die Begegnung mit ihm in mir ausgelöst hatte. Ich ahnte vielmehr, dass es nur eine Person gab, mit der ich darüber sprechen konnte, und dass es allmählich Zeit wurde, dies zu tun.
    Ich musste mit Katrin reden.
    Wolken schoben sich vor den Mond, der hell in mein Zimmer schien. Ich machte kein Licht, um mich anzuziehen. Als ich nach draußen schlich, hörte ich die Standuhr im Wohnzimmer ein Uhr schlagen und war sicher, dass jeder im Haus schlief. Und tatsächlich drangen durch die geschlossene Schlafzimmertür die unaufdringlichen, beruhigenden Schnarchgeräusche von Onkel Rolf.
    Die Bodenplatten auf dem Weg zum Gartenhaus waren ein wenig locker und klapperten leise, als ich mich durch den Hof tastete. Im Mondlicht konnte ich das kleine Haus erkennen und die drei Treppenstufen, die zur Tür hinunterführten. Mit drei Fingern der rechten Hand drückte ich die quietschende Tür auf und horchte. Nichts.
    Ich ließ die Tür offen, damit der Mond hineinscheinen konnte, blieb stehen und hoffte, dass Katrins Atemgeräusche mir den Weg wiesen … aber es blieb geradezu unheimlich still. Hoffentlich war sie nicht bereits erfroren! Dieser Gedanke versetzte mir einen kleinen Stich, und für den Bruchteil einer fantasievollen Sekunde sah ich meine Verwandten vollkommen gebrochen um Katrins Grab stehen.
    Aber dort auf dem Sofa lag eindeutig eine hügelige Masse, die atmete – tief unter Decken vergraben, weil es im Gartenhaus nur knapp über null Grad sein konnte. Ich setzte mich auf den Rand des Sofas und ließ einige Minuten verstreichen, in denen ich mich fragte, wie ich es denn nun anfangen sollte.
    In den Hügel neben mir kam Bewegung. Ein Arm tauchte auf und schlug mehrere Lagen Decken zurück. Beim Anblick der Gestalt an ihrer Bettkante durchfuhr Katrin ein solcher Schreck, dass ein Ruck durch das ganze Sofa ging. Der blendende Lichtkegel einer Taschenlampe richtete sich direkt auf mich. »Bist du wahnsinnig?«, schnauzte sie mich an.
    »Am Montag muss ich wieder zurück«,

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