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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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und ich frage sie: „Kannst du das Bild mit mir gemeinsam legen?“ Sie setzt sich zu mir in den Sand, schaut auf die Muscheln und stellt plötzlich die größte Muschel aufrecht in den Sand: „Es ist eine Lilie, kannst du das sehen?“ Das Meer hat mir eine Blume geschenkt und ich habe sie im wahrsten Sinn des Wortes liegen gelassen, obwohl sie stehen kann. Mit ihren kleinen zarten Händen ändert sie die Anordnung meines Muschelkreises und spricht wie zu sich selber: „Außen sollen neun Muscheln liegen. Neun ist die Zahl der Vollendung. Ein Zyklus wird jetzt abgeschlossen und etwas Neues beginnt. Dann kommen sechs Muscheln, das ist die Zahl der Herzensenergie. Und im innersten Kreis sind es fünf. Es bedeutet, dass der Wille der Seele geschieht.“ Sie zählt die Muscheln und sagt zufrieden: „Einundzwanzig, und damit sind es wieder drei. Die heilige Zahl der Dreieinigkeit. Und in der Mitte steht die Lilie. Kannst du spüren, wie stark sie pulsiert? Alle Frauen sind Lilien. Wir sind zart und stark zugleich. Es ist ein Missbrauch unserer Urkraft, wenn wir uns als das ‚schwache Geschlecht‘ bezeichnen lassen. In uns wächst Leben. Wir sind durch unsere Weiblichkeit direkt mit unseren tiefsten Wurzeln mit Mutter Erde verbunden.
    Und wenn du wieder in Europa bist, kannst du dich immer
mit diesem Platz verbinden. Dein Energiefeld kennt die Frequenz.“
    Aid wartet schon im Taxi, als wir aus dem Wadi kommen. Ich ziehe meine geflochtenen Schuhe aus, in München soll es schneien. Als ich sie in meinen Koffer packen will, sagt die Stimme wieder, dass ich sie hierlassen soll, damit ich wiederkomme. Rita lacht schallend, als ich ihr mein Anliegen unterbreite: „Du bist wie ich, ich lasse an Plätzen, an die ich unbedingt zurückkehren möchte, immer ein Paar Schuhe.“
    Es war schon dunkel. Draußen vor den Glasscheiben der Ankunftshalle schneite es in großen Flocken. „Mehr als sechzig Flüge konnten heute in München nicht landen“, sagte ein Mann zu seiner Frau und hob zufrieden einen Riesenkoffer vom Band. „Unser Flug war nicht dabei“, dachte Lilly erleichtert. Wieso nicht? Gehörte das zu den Wundern? Als einige Fluggäste auf die Uhr schauten und dann begannen zu rennen, lief sie einfach mit. So musste es sein, wenn Lemminge in den Untergang gingen. Einer fing an damit und alle anderen folgten ihm. Sie schaffte es gerade noch, in die S-Bahn Richtung Innenstadt zu kommen, bevor sich die Türen schlossen. Am Hauptbahnhof stieg sie um und saß endlich in dem Regionalzug, der Richtung See fuhr. Doch schon tauchte das nächste Problem auf. Sie wusste nicht, ob Oskar den Schlüssel unter den Stein hinter dem Haus gelegt hatte. Es gab nur einen Schlüssel. Das Haus würde eisig sein, er war vor mehr als einer Woche nach Kiel gefahren. Sie dachte an das wunderschöne Hotel am See, das sie auf ihren Kajakfahrten vom Wasser aus immer bewundert hatte. Es lag mit seinen alten Holzbalkonen geschützt in einer kleinen Bucht. An den Holzstegen vor dem großen Gastgarten waren im Sommer die Segelboote vertäut, deren Besitzer zu einer Kaffeepause oder zum Abend­essen anlegten. Von der Landseite aus kannte sie es nicht, obwohl es von der kleinen Hütte nur zwanzig Minuten entfernt lag. Lilly stand wieder auf ihrem Schwebebalken und ging hin und her. Ihre Vaterseite zögerte keinen Augenblick. Sie war müde, sie kam aus dem warmen Ägypten und war in Schneechaos und Kälte gelandet. Sie würde in das Hotel fahren und am nächsten Tag ihren Koffer dort lassen und zu Fuß zum Haus spazieren. Die andere Seite in ihr, die vom Bregenzerwald geprägt war, in dem die Eltern ihre Kinder zur Fron ins Allgäu schicken mussten, damit sie nicht verhungerten, fand das eine frevelhafte Verschwendung. Sie konnte einheizen, einen heißen Tee kochen und sich unter vielen Decken vor der Kälte verkriechen.
    Der Zug fuhr in den Ort ein, von dem sie weiterfahren musste. Sie stieg in das einzige Taxi, und als die Fahrerin sie nach ihren Wünschen fragte, wusste Lilly noch immer nicht, wer von ihren beiden Teilen gewinnen sollte: „Fahren Sie bitte am See entlang, ich lotse sie dann.“ Die Frau sorgte für Unterhaltung. Im Hintergrund lief eine CD mit einem Roman und im Vordergrund erfuhr Lilly, dass sie heute der letzte Gast war und dass die Taxifahrerin sich schon auf das Kaminfeuer freute, das

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