Lillys Weg
das nicht alleinâ, sagte Sybille, die â typisch für sie â ganz unverfroren gut für sich sorgte.
Lilly sah fragend zu Oskar, der mit den Schultern zuckte: âIch wusste nichts davon.â
Der Therapeut überschritt sofort seine Grenzen, indem er sich erbot, in seiner Allparteilichkeit für alle da zu sein. Lilly spürte, wie sich alles in ihr sträubte, und nahm sich vor, Ralf später zu fragen, was er davon hielt. Sie sagte scharf: âIch dachte, Sie sind Ihrer Klientin verpflichtet, das ist doch sicher keine gute Position für einen Schiedsrichter?â Im nächsten Augenblick fiel ihr ein, dass es Mediator hieÃ, aber er hatte sie auch so verstanden.
Jedenfalls wurde er rot, und Lilly lud die beiden ein, sich zu setzen.
Oskar sprach zuerst: âZuerst möchte ich dich, Lilly, zutiefst um Verzeihung bitten. Ich weiÃ, dass ich dir sehr wehgetan habe.â Er saà neben ihr und nahm ihre Hand. âUnd auch dich, Sybille, habe ich verletzt. Ihr wart einmal gute Freundinnen, und ich bin in eure Freundschaft eingedrungen und habe euch beiden Schmerz zugefügt. Dir, Lilly, indem ich mich in Sybille verliebt habe, und dir, Sybille, indem ich jetzt erkenne, dass ich meine Frau und unsere Kinder mehr als alles in der Welt liebe.â
Sybille, mit der Oskar schon vorher geredet hatte, verlor dennoch die Fassung. Sie brach in Tränen aus und sagte: âDu bist ein ScheiÃkerlâ, und dann zu Lilly gewandt: âUnd du kannst dir deinen Heiligenschein in den Arsch schieben.â Dann lief sie hinaus und schlug die Wohnungstür zu.
Der Therapeut, ein rundlicher älterer Mann, folgte ihr und murmelte irgendetwas Entschuldigendes. Lilly bat Oskar, ebenfalls zu gehen. Sie würden sich am Abend sehen. Sie war erschöpft und musste nachdenken. Wieso war Sybille so aufgebracht gegen sie? Und dann kam plötzlich das Bild zurück. Ein feuchtfröhlicher Abend in ihrer WG im dritten Bezirk. Sie hatten immer wieder âverkannte Geniesâ mit einem guten Essen und einem offenen Ohr getröstet. Einer von ihnen war Lucki gewesen. Ein begabter Sänger mit leeren Taschen, dem sie den Vorschlag machten, Songs im Wälder Dialekt einzustudieren. Irgendwann war er mit Sybille im Bett gelandet, und irgendwann hatte sie ihn dann satt gehabt. Jedenfalls war das der Text, den sie eines Morgens beim Frühstück von sich gab. Lilly hatte sich nichts dabei gedacht, als sie mit ihm in der gleichen Nacht eine Affäre anfing. Sie hatten nie darüber geredet, aber in ihrer Beziehung war, das dämmerte ihr jetzt, ein feiner Riss entstanden: âIch habe ihr auch den Mann weggenommen. Zwar nicht heimlich. Aber dennoch rücksichtslos.â Die Erkenntnis traf sie aus heiterem Himmel. Sie hatte sich wenig gemerkt aus der Bibel. Aber den Spruch âWer ohne Schuld ist, werfe den ersten Steinâ, den kannte sie.
Die Dinge fielen langsam auf ihren passenden Platz, aber die Bitterkeit, dass Oskar und Sybille sie fast zwei Jahre hintergangen hatten, blieb.
Oskar rief gegen Abend an und fragte Lilly, ob sie mit ihm zum Italiener essen gehen könnte. âNein, nicht in dieses Lokalâ, antwortete sie und schob die Erinnerung, wie verzweifelt sie dort auf dem Klodeckel gesessen hatte, weg.
Es war ein Abend auf neutralem Boden, in einem Lokal, das noch keine Geschichte für sie hatte. Lilly spürte ihre Sehnsucht und ihr Misstrauen wie zwei Gegenspieler in jeder Faser ihres Körpers. War das Leben wirklich so einfach? Ein Mann ging weg und kam wieder. Und alles, was dazwischen passiert war, gehörte zu einer Vergangenheit, die man am besten ruhen lieÃ? So Âjedenfalls stellte sich Oskar das vor.
07 Wiese
08 Der Tod ist uns sicher, er kommt ohne Warnung, dieser Körper wird ein Kadaver sein.
4. Kapitel
Wer behauptet, dass die Zeit alle Wunden heilt, der irrt. Jedenfalls war es für Lilly nicht so. Sie war dankbar, dass der groÃe Schmerz vorbei war, sie war froh, dass Oskar wieder da war. Sie war glücklich, die Freude der Kinder zu erleben, und gleichzeitig wollte ein Teil von ihr sich nicht mehr öffnen. Dieser Raum in ihrem Inneren, den bisher nur er betreten hatte, dieser intimste Platz, ganz weit hinten in ihrer Vagina, blieb verschlossen. Sie schlief mit ihrem Mann mit zärtlicher Hingabe, und sie wusste nicht, ob er die Grenze spürte. Aber sie spürte den Unterschied. Es war, als ob ein Teil in ihr
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