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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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gelegt hatte. Einer der Polizisten öffnet ein Samt­etui, das in meinem Nachttisch liegt, entdeckt den Penis aus Glas und legt ihn kommentarlos wieder zurück. Ich werde rot und will ihnen nicht mehr zusehen. Ein Beamter folgt mir ins Wohnzimmer, als ob er Angst hätte, dass ich etwas verschwinden lassen könnte. Er nimmt jedes einzelne Bild von der Wand und jedes Blatt auf meinem Schreibtisch in die Hand. „Es sind Texte für meine Zeitschrift“, sage ich. Aber er nickt nur höflich und sucht weiter. Er darf mir nicht sagen, wonach er sucht. „Wir müssen jetzt ins Kinderzimmer.“ Der Ton, in dem er das sagt, drückt sein Bedauern aus. Er weiß, dass meine Tochter dort schläft. „Haben Sie Kinder?“, frage ich ihn. Er nickt ernst und sagt: „Wir müssen unseren Auftrag trotzdem erfüllen.“ Leas Gesicht ist ganz weich und entspannt, in ihrem Arm liegt der braune Bär, ohne den sie nie verreist. Sie ist nicht ganz dreieinhalb Jahre alt und im Gegensatz zu Niklas eine Langschläferin. Ich hebe sie aus ihrem Bettchen, wickle sie in eine Decke und trage sie aufs Wohnzimmersofa. Ich möchte, dass sie weiterschläft, aber sie spürt meine Unruhe und ist sofort hellwach. Ich weiß nicht, wie ich einem Kind erklären kann, dass diese fremden Männer nach etwas suchen, was ihr Vater hier versteckt haben soll. Und Oskar kann nichts dazu sagen, er ist wie so oft verreist.
    Als sie wieder gehen, sind sie unzufrieden. „Die Wohnung ist sauber“, sagen sie. Wie in einem Kriminalroman.
    15. Februar 1985
    Oskar ist verhaftet worden. Ich kann die Szene nicht aus meinem Kopf verbannen, obwohl ich nicht dabei war. Sie treten auf die Straße, es ist Vormittag. Lea hat ihre Hand vertrauensvoll in die ihres Vaters gelegt. Sie ist vier Jahre alt. Niklas, mit seinen eineinhalb Jahren, sitzt auf seinem Arm. Die beiden Polizisten in Zivil haben schon auf Oskar gewartet. Vielleicht sind sie auch Väter, und es ist ihnen unangenehm, dass sie ihn vor seinen Kindern verhaften müssen. Aber Pflicht ist Pflicht. Sie wollen ihn mitnehmen und die Kinder aufs Polizeirevier bringen. Die beiden klammern sich weinend an ihn, und die Männer hören auf Oskars Flehen und haben Erbarmen. Zu fünft gehen sie in die Wohnung zurück und warten auf Ralf. In dieser kleinen Ewigkeit, bis ihr Vater abgeführt wird, hält er sie im Arm und erzählt ihnen ihre Lieblingsgeschichten. Und wo war ich? Wieder einmal auf einer Pressekonferenz. Manchmal hasse ich meinen Beruf und möchte einfach nur für die Kinder da sein. Sie keine Sekunde aus den Augen lassen, damit ihnen nichts passiert. Aber ich bin nicht so eine Mutter. Ich brauche, um zufrieden zu sein, auch noch ein eigenes Leben.
    Lilly weinte. Sie sah diese Szene wieder und wieder vor ihrem inneren Auge, seit Oskar sie ihr erzählt hatte. Auch hier hatte die Zeit die Wunden nicht geheilt. Der Schmerz kam jedes Mal neu und traf ihr offenes Herz. Was hatte dieses Erlebnis in den kleinen Kinderseelen angerichtet? Lea und Niklas waren bis zur Hausdurchsuchung und der Verhaftung ihres Vaters geschützt und behütet aufgewachsen. Sie kannten Gewalt nicht, sie kannten Schmerz nur von dem Schaufenster eines Spielzeugladens, wenn Lilly ihnen eine Plastikpistole oder ein Matchboxauto verweigerte. Der Gedanke an Leas Ausbrüche erheiterte sie für ­einen Moment. Sie sah sie vor sich, wie sie sich als Dreijährige vor der Auslage des feinen Geschäfts am Graben wütend auf den Boden warf und die noble Klientel schockierte.
    Dann dachte sie an die letzten Jahre, in denen sie den „Fall Esmeralda“ erfolgreich verdrängt hatte. Ihr privates Drama mit Oskar war auf der Bestsellerliste der Gedanken an oberster Stelle gestanden. Sie hatte sich nicht eingestanden, dass die Hausdurchsuchung und die Verhaftung schon die Vorboten einer Katastrophe gewesen waren. Spätestens von diesem Augenblick an war dieses verdammte Schiff täglich an ihrem Tisch gesessen. Es war mit ihnen auf Urlaub gefahren, die zahlreichen Anwaltsbesprechungen und Gerichtstermine hatten Oskars karge Freizeit aufgefressen und damit auch seine Zeit für die Familie. Am Tag, als ihr Vater vor ihren Augen verhaftet wurde, hatte Lilly den Kindern nicht gesagt, dass er im Gefängnis sitzt. Sie hatte sie einfach im Arm gehalten und getröstet. Sie war sich sicher, dass er nach ein, zwei oder drei Tagen wieder da sein

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