Lily und der Major
»Ich habe
dich nicht einmal gefragt, wie es dir in deiner Hochzeitsnacht ergangen ist.«
Lilys heftiges Erröten war Antwort
genug.
»Komm herein«, forderte Velvet sie
auf, nachdem sie die Kuh an Hanks Wagen angebunden hatte. »Es ist noch Kaffee
vom Frühstück da.«
»Wo ist Hank?« fragte Lily, als sie
ihrer Freundin in das neue Haus folgte, das wie ihr eigenes sehr angenehm nach
frischem Holz roch.
Falls Velvet merkte, daß Lily etwas
bedrückte, schien sie auch zu spüren, daß ihre Freundin nicht darüber reden
wollte. »Er pflanzt Obstbäume auf dem Hügel.« Sie schenkte Kaffee für sich und
Lily ein und setzte sich zu ihrer Freundin an den Tisch. »Es war eine schöne
Hochzeit«, schwärmte sie. »Caleb sah phantastisch aus in seiner Galauniform,
und du warst die schönste Braut, die ich je gesehen habe, Lily.«
Lily kamen die Tränen, aber sie
drängte sie resolut zurück. Schließlich war sie eine Siedlersfrau, eine
Pionierin, und mußte stark sein. »Caleb hat einen Brief bekommen ... aus Fox
Chapel«, begann sie zögernd, und Velvet hörte mitfühlend zu, als Lily ihr
erzählte, was sie bedrückte.
»Er wird nicht mehr zurückkehren
wollen, wenn er erst wieder bei seiner Familie ist, und dann muß ich mich
zwischen ihm und meinem Land entscheiden«, schloß sie bekümmert.
»Aber du würdest doch sicher mit
Caleb gehen?« entgegnete Velvet rasch.
Lily nickte traurig. »Ja – aber es
würde eine Bitterkeit in mir erzeugen, die ewig zwischen uns stehen würde.«
Velvet berührte schüchtern Lilys
Arm. »Ich dachte auch einmal, mein Leben würde sich nie zum Besseren wenden,
und doch ist es so gekommen, Lily. Du darfst nicht aufgeben, du mußt
weiterkämpfen.«
Lily versuchte zu lächeln, aber es
gelang ihr nicht, denn ihre letzte Hoffnung war vernichtet.
21
Nach dem Gespräch mit Velvet fühlte Lily sich etwas besser,
obwohl sich im Grunde nichts geändert hatte. Im letzten Schein der
untergehenden Sonne ging sie nach Hause und stellte fest, daß Caleb noch immer
auf dem Dach hockte und hämmerte und hämmerte.
Ohne sich ihre Enttäuschung anmerken
zu lassen, begann Lily die Wäsche abzuhängen. Als sie nach ihren Küken sah,
stellte sie bestürzt fest, daß zwei gestorben waren. Obwohl so etwas bei der
Aufzucht von Küken zu erwarten war, trauerte Lily um die Tierchen.
Sie bestattete die winzigen Körper
feierlich und ging dann zum Bach hinunter, um ihre Hände zu waschen. Als das
Hämmern plötzlich verstummte, schaute sie sich nach Caleb um.
Er betrachtete sie auf eine Art, als
könnte er durch sie hindurchsehen.
Rasch trocknete Lily ihre Hände an
der Schürze ab und ging zu Calebs neuem Haus hinüber. Die untergehende Sonne
tauchte seinen nackten Oberkörper in ein rotgoldenes Licht.
Lily stützte beide Hände auf die
Hüften, beschattete ihre Augen vor der Sonne und sagte spitz: »Warum baust du
das Haus überhaupt, wenn du weißt, daß du doch nach Pennsylvania zurückkehren
wirst und beabsichtigst mich mitzuschleppen?«
Calebs Miene war nicht zu erkennen,
da sein Gesicht im Schatten lag, aber Lily sah, daß er zur Leiter ging und vom
Dach herunterkletterte.
»Die Hälfte der Farm gehört mir«,
sagte er, als er Lily erreichte und vor ihr stehenblieb.
Lily seufzte. »Dann fahr nach
Pennsylvania und kämpfe um deinen Anteil«, entgegnete sie gereizt. »Im übrigen
bist du nicht der einzige, der Probleme hat.«
Caleb musterte sie forschend,
während er sein Hemd anzog und die Knöpfe schloß, aber er sagte nichts. Er
schien zu wissen, daß Lily auch ohne Aufforderung weitersprechen würde.
»Meine Mutter ist gestorben ... und
jetzt werde ich meine Schwestern wohl nie mehr wiederfinden.«
»Ach, deshalb warst du also auf
einmal bereit, mich zu heiraten! Weil du aufgegeben hattest? Ich weiß nicht,
ob ich das so gut finde, Lily.«
»Das ist nicht mein Problem«,
entgegnete sie schnippisch und wandte sich ab. Aber Caleb ergriff ihren Arm.
»Du kannst die Suche nicht einfach
aufgeben!« sagte er beschwörend. »Das sieht dir gar nicht ähnlich, Lily.«
»Du hast es selbst gesagt, Caleb:
Der Westen ist groß. Wer weiß, ob meine Schwestern nicht längst verheiratet
sind und gar keine Zeit für eine verlorene Schwester haben, die sie seit
dreizehn Jahren nicht mehr gesehen haben. Vielleicht sind Emma und Caroline
auch längst tot.«
Caleb starrte Lily an. »Ich traue
meinen Ohren nicht«, sagte er verblüfft. »Seit unserer allerersten Begegnung
redest du von nichts anderem,
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