Lily und der Major
öffnete sie die Eingangstür und leerte die Waschschüssel aus.
Fast wäre sie ihren Händen jedoch entglitten, als sie merkte, daß Caleb in der
Schlafzimmertür stand und sein Blick verlangend über ihren nackten Körper
glitt.
Lächelnd streckte er die Hand nach
ihr aus. »Komm her«, befahl er heiser.
Ihre Liebe zu ihm war wie immer
stärker als ihr Schmerz. Sie drängte die Tränen zurück und ging lächelnd auf
ihn zu.
Caleb schloß sie leise lachend in
die Arme, trug sie ins Schlafzimmer und legte sie aufs Bett. Irgendwo in der
Nähe heulte ein Kojote, aber Lily verschwendete keinen Gedanken mehr an ihre
Küken.
Ganze zwei Wochen lang erwähnte
Caleb seinen Bruder mit keinem Wort mehr. Er ritt morgens zum Dienst und kehrte
am frühen Nachmittag zurück, um an seinem Haus zu arbeiten. Lily fragte längst
nicht mehr, warum er es überhaupt bauen wollte, wenn er doch nicht
beabsichtigte, im Staat Washington zu bleiben. Sie hatte inzwischen begriffen,
daß Caleb die körperliche Arbeit brauchte, um sich in Gedanken mit dem Dilemma
beschäftigen zu können, das ihn und sie so quälte.
Ende Juni nahm er trotz Colonel
Tibbets heftiger Einwände Abschied von der Armee, und um dies zu feiern, bat
Caleb Lily, die Küken in Velvets Obhut zu geben und mit ihm nach Spokane zu
fahren.
In der Stadt gab er zahllose
Bestellungen für sein neues Haus auf, kaufte Möbel, Teppiche und sogar ein Piano
und eine Standuhr. Auch ein Herd mit Heißwasserreservoir stand auf seiner
Einkaufsliste und eine moderne Kühlbox mit wunderschönen Bronzegriffen.
Lily war verblüfft darüber, daß er
sein Geld mit vollen Händen ausgab. Aber als er sie aufforderte, sich alles zu
kaufen, was ihr Herz begehrte, stellte sie keine Fragen und kaufte Stoffe,
Stoffmuster, Musselin für Unterwäsche und einige Meter Spitzen.
Mittags aßen sie in ihrem Hotel, und
abends besuchten sie Rupert. Lilys Bruder schien sehr erfreut, daß sie Caleb
geheiratet hatte, sein verstohlenes Lächeln und die anerkennenden Blicke, mit
denen er seinen Schwager maß, verrieten seine Freude nur allzu deutlich.
»Wann wirst du Winola heiraten?«
fragte Lily Rupert lächelnd.
Er räusperte sich. »Wir haben schon
vor einer Woche geheiratet«, gestand er verlegen, »aber im Moment wollen wir
es noch geheimhalten.« Lily war entzückt und fand es sehr romantisch. »Warum
soll es denn keiner wissen?« erkundigte sie sich neugierig.
Rupert seufzte. »Weil Winola weiter
unterrichten will. Wenn die Schulleitung erfährt, daß sie verheiratet ist,
verliert sie ihren Posten.«
»Warum eröffnet ihr beide dann nicht
eine eigene Schule, wenn ihr das Unterrichten so wichtig ist?« wandte Caleb
ein.
»Daran haben wir schon gedacht«,
erwiderte Rupert seufzend. »Wir würden gern ein Internat für junge Männer
einrichten, aber dazu braucht man leider Geld.«
Lily mußte an Reverend Sommers
denken, der ihr keinen Schulbesuch gestattet hatte. Er hatte ihr lediglich
erlaubt, dabeizusein, wenn Rupert Isadora unterrichtete, und das auch nur, weil Rupert darauf bestanden
hatte. »Warum nur junge Männer«, fragte sie »und keine Mädchen?«
Caleb drückte beschwichtigend ihre
Hand. »Ich wäre bereit, mein Geld in ein derartiges Projekt zu investieren«,
sagte er.
Rupert senkte beschämt den Kopf.
»Ich könnte von dir kein Geld annehmen«, erwiderte er bedrückt.
»Warum denn nicht?« wollte Lily
wissen. »Er scheint genug davon zu haben, wenn man bedenkt, daß er es mit
vollen Händen ausgibt.«
Beide Männer
lachten.
»Vielleicht sollte ich einmal mit
Winola darüber sprechen«, gab Rupert nach.
»Ich möchte jetzt endlich wissen,
warum du nur Jungen aufnehmen willst und keine Mädchen!« wiederholte Lily.
Rupert lächelte sie an und nahm ihre
Hand. »Du weißt doch, Lily, daß die meisten Leute nichts davon halten, Mädchen
zur Schule zu schicken. Bei Jungen ist es etwas anderes, sie müssen sich ihren
Weg in der Welt selber suchen ...«
»Und Mädchen etwa nicht?« fiel Lily
ihm gereizt ins Wort und schaute abwechselnd Caleb und Rupert an. Caleb schien
unangenehm berührt, während Rupert seine Vorurteile so voller Behagen
vortrug, als handelte es sich um eine Sonntagspredigt.
»Du und Winola, ihr seid rühmliche
Ausnahmen«, gestand er Lily schließlich mit einem nachsichtigen Lächeln zu.
»Aber im allgemeinen brauchen die Mädchen nur kochen und nähen zu lernen, und
das können sie auch zu Hause.«
Caleb schloß die Augen, als
bereitete er sich auf einen
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