Lily und der Major
später würde sie
Caleb vielleicht vertreiben, wie ihre Mutter ihren Vater vertrieben hatte. Es
war möglich, daß sie als Trinkerin endete, wie Kathleen, und vielleicht sogar
als Hure. War sie das nicht schon in gewisser Weise? Caleb brüstete sich damit,
sie jederzeit und egal an welchem Ort besitzen zu können, und das stimmte. Ja,
vielleicht käme es irgendwann sogar so weit, daß sie auch ihre eigenen Kinder im
Stich ließ.
Lily verdrängte ihre Tränen, stieß
den Stuhl zurück und sprang auf.
Caleb versuchte, sie zurückzuhalten,
aber sie hörte nicht auf ihn. Hocherhobenen Kopfes kehrte sie in das Geschäft
zurück und vervollständigte ihre Bestellung.
Aber es
machte ihr keinen Spaß mehr.
Trotz Lilys Hoffnung, daß Caleb zu ihr kommen möge, war er gegen
Abend, als sie mit Rupert beim Essen saß, noch nicht erschienen.
»Ich vermute, daß der Major ins Fort
zurückgekehrt ist«, bemerkte Rupert, der im Gegensatz zu ihr mit Appetit
zugriff.
»Er würde nicht abreisen, ohne sich
von mir zu verabschieden«, sagte Lily und hätte die Worte am liebsten sofort
zurückgenommen.
Rupert zog eine Augenbraue hoch. »Du
erstaunst mich, Lily. Du gestattest einem Mann gewisse Freiheiten und
behandelst ihn dann, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Liebst du ihn nun
oder nicht?«
Lily errötete. »Ich muß über dich staunen«, entgegnete sie. »Ich hätte erwartet, daß du verurteilen würdest,
was ich mit Caleb tat – statt dessen tust du so, als hätte er ein Recht
darauf!«
Ein langer Moment verging, dann
sagte Rupert ruhig: »Ich weiß, daß du kein flatterhaftes Wesen bist, Lily. Wenn
du mit dem Major intim gewesen bist, dann
nur, weil du ihn liebst.«
»Oder weil ich wie meine Mutter
bin«, sagte Lily und sprach damit ihre schlimmste Befürchtung aus. In ihren
Augen schimmerten Tränen, als sie Rupert flehend ansah. »Sie hat den Männern
auch Freiheiten gestattet. Allen möglichen Männern.«
»Warst du außer Caleb mit anderen
Männern zusammen?«
»Selbstverständlich nicht!«
»Na bitte, da hast du es. Kathleen
war Kathleen, und du bist Lily, und diese beiden werden sich nie begegnen.«
Lily seufzte. »Ich glaube, wir
werden uns sehr wohl begegnen. Wenn Mama mich gefunden hat, wird sie
auch wissen, wo Emma und Caroline sind.«
Rupert nickte. »Das ist möglich.
Wirst du Kathleen besuchen?«
Lily schüttelte den Kopf. Dann
nickte sie. »Ach, ich weiß es nicht!« rief sie unwillig. »Caleb hat mich in
solche Verwirrung gestürzt ...«
»Ich sehe, daß er dir einen Ring
geschenkt hat«, bemerkte Rupert mit einem Blick auf den glitzernden Diamanten
an Lilys Hand.
»Ich trage ihn nur, weil ich ihn
nicht mehr abstreifen kann.«
»Aha. Aber damit sind wir wieder bei meiner ersten
Frage, Lily – liebst du Caleb Halliday?«
Lily senkte den Kopf. »Ja«,
antwortete sie leise. »Ich denke dauernd an ihn, und dabei wird mir heiß und
kalt, als hätte ich die Grippe. Ich habe sogar ein komisches Gefühl im Magen.«
»Dann ist es Liebe«, befand Rupert.
»Aber du willst ihn nicht heiraten, weil du glaubst, du könntest wie deine
Mutter sein?«
Lily hätte ihm gern beschrieben, wie
schamlos und leidenschaftlich sie sich Caleb hingab, aber so etwas konnte sie
mit einem Mann
natürlich nicht besprechen. »Es ist mehr als das«, sagte sie. »Ich habe mein Herz an
meine Farm gehängt und will meine Schwestern wiederfinden. Caleb hingegen will
seinen Abschied von der Armee nehmen und
nach Pennsylvania zurückkehren. Eine Heirat mit ihm würde mein ganzes Leben auf
den Kopf stellen.«
»Das kann
vorkommen, wenn man liebt.«
»So?« entgegnete Lily verstimmt.
»Aber warum muß ich diejenige sein, die alles aufgibt? Warum nicht
Caleb?«
»Ja, ich sehe, was du meinst«,
erwiderte Rupert. »Keiner von euch beiden ist ein Mensch, der eine einmal
gefällte Entscheidung rückgängig machen würde.
Vielleicht ist es daher besser, wenn du bleibst und dein Land bestellst,
während er in den Osten zurückkehrt. Dort wird er bestimmt ein nettes Mädchen
finden und dich vergessen.«
Schon der Gedanke reichte aus, um
Lily in wilde Rage zu versetzen. »Das wird er nicht!« erwiderte sie hitzig.
»Er wird zur Vernunft kommen und hier bei mir bleiben. Das weiß ich!«
Rupert zuckte die Schultern. »Dir
zuliebe hoffe ich, daß du recht behältst.«
In diesem Augenblick klopfte es, und
Winola kam, um mit Rupert ihre Stundenpläne vorzubereiten. Da Lily sich auf einmal
sehr überflüssig vorkam, holte sie ihren
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