Lily und der Major
Tibbet. Captain Horatio.«
Der Captain nickte ihr nur flüchtig
zu, aber Gertrude stand auf, nahm Lilys Arm und führte sie in die Bibliothek.
Dort maß sie Lily mit einem strengen, wenn auch liebevollen Blick. »Ich muß mit
Ihnen über Ihr Benehmen reden«, sagte sie energisch.
Lily mußte sich beherrschen, um
nicht zu weinen. Mrs. Tibbet war außer Velvet ihre einzige Freundin, und ihre
so offensichtliche Mißbilligung schmerzte Lily sehr.
»Warum geben Sie diese verrückte
Idee mit der Farm nicht endlich auf?« fragte Gertrude ärgerlich. »Warum müssen
Sie so stur sein, Lily? Caleb ist bestens in der Lage, für Sie zu sorgen, er
stammt aus einer der besten Familien Pennsylvanias. Ich kenne die Hallidays
schon sehr, sehr lange.«
Lily starrte einen Moment auf ihre
Füße, um Mut zu sammeln. »Sie verstehen nicht«, sagte sie dann leise. »Ich
liebe Caleb sehr, aber ich bin nicht die richtige Frau für ihn.«
Mrs. Tibbet zog die Augenbrauen
hoch. »So? Und warum nicht?«
Lily senkte die Stimme zu einem
Flüstern. »Weil ich wie meine Mutter bin.«
»Und wie ist Ihre Mutter?«
»Sie war ... sie trank, Mrs. Tibbet.
Und sie hat Männer gehabt. Viele Männer.«
»Ach Gott«, sagte Mrs. Tibbet ernst.
»Und Sie trinken, Lily?« Lily schluckte. »Nein.«
»Dann gibt es also Männer in Ihrem
Leben.«
»Nur Caleb«, sagte Lily rasch. »Aber
er bringt mich dazu, die unglaublichsten Dinge zu tun. Ich fürchte, das liegt
an meinem ... an meinem heißen Blut.«
Mrs. Tibbet sah aus, als müßte sie
ein Lächeln unterdrücken. »Sie sind nicht das erste Mädchen, das sich seinem
Mann vor der Trauung hingibt. Es ist vielleicht nicht klug, aber es kommt immer
wieder vor.«
Lily atmete tief ein. »Ich vermute,
daß das Trinken später kommt«, sagte sie, weil sie Mrs. Tibbets Bemerkung als
bloße Güte abtat. »Und dann die Männer. Nein, es ist sicher besser, wenn ich
mein Leben so weiterführe, wie es geplant war.«
Es klopfte, und Velvet steckte den
Kopf herein. »Verzeihen Sie, Mrs. Tibbet, das Essen ist serviert, und die
Männer sagen, sie würden ohne Sie anfangen, wenn Sie sich nicht beeilen.«
»Wir kommen sofort«, antwortete Mrs.
Tibbet, und als Velvet ging, wandte sie sich wieder an ihren Gast. »Wenn Sie
meine Tochter wären, Lily, würde ich Ihnen das gleiche sagen. Einen besseren
Mann als Caleb könnten Sie gar nicht finden. Wer weiß, ob Sie eine solche
Chance noch einmal bekommen werden.«
Lily trat ans Fenster. »Manchmal
möchte ich Caleb ja heiraten, und ich wäre sogar bereit, dafür auf meine Farm
zu verzichten. Aber dann denke ich daran, wie meine Mutter war, und weiß, daß
ich es nicht kann.«
»Sie sind nicht Ihre Mutter, Lily!«
wies Mrs. Tibbet sie scharf zurecht.
»Nein«, stimmte Lily traurig zu. »Aber
Mama war auch einmal jung, und bestimmt hat sie meinen Vater geliebt. Sie hat
ihn geheiratet und Kinder mit ihm gehabt, aber dann hat sich etwas geändert,
und sie fing an zu trinken. Papa ging fort – ich kann mich nicht einmal an ihn
entsinnen – und dann kamen die Männer, einer nach dem anderen ...«
Gertrude drückte Lilys Hand. »Bei
Ihnen wird es anders sein, Lily. Sie sind stark, und Caleb ist es auch. Lassen
Sie sich das Glück, das Sie mit ihm erwartet, nicht entgehen!«
Lily lächelte schwach. »Ich verspreche
Ihnen, es mir gründlich zu überlegen, Mrs. Tibbet.«
»Nur nicht zu lange«, entgegnete
Gertrude, bevor sie mit Lily zum Dinner ging.
14
Der Mond schien auf sie herab, als Caleb sie später nach Hause
begleitete. Er war sehr wortkarg auf dem Weg, aber vor Lilys Tür räusperte er
sich und sagte: »Ich muß dir etwas sagen – über deine Farm.«
»Wenn du mir wieder ein Predigt
halten willst, dann vergiß es bitte«, entgegnete Lily kühl.
Ein Muskel zuckte an seinem Kinn.
»Wie du willst. Gute Nacht, Lily.«
Sie dachte, daß er sie nun küssen
würde, aber er tippte nur an seinen Hut und ging. Lily schaute ihm ein paar
Minuten nach, dann öffnete sie die Tür und ging ins Haus.
Drinnen herrschte eine Dunkelheit,
die schon fast unheimlich war. Von kalter Angst erfaßt, tastete Lily nach der
Lampe und den Streichhölzern. Da hörte sie eine Bewegung in der Dunkelheit und
wich zur Tür zurück. Ein Schrei formte sich in ihrer Kehle.
Bevor der Schrei über ihre Lippen
kam, legte sich eine große Hand über ihren Mund, und Lily wurde ins Zimmer
zurückgezerrt. Ihr Angreifer war sehnig, stark und roch nach Alkohol und altem
Schweiß. Lily wußte, wer er war,
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