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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Gegenstände durch seine Finger gleiten, betrachtete sie mit prüfenden Blicken, drehte, wendete und verstaute sie sorgfältig wieder: den kleinen Flakon mit Aftershave, die Flasche Duschgel und die andere mit Shampoo, Hautcremes in Tuben, Rasierschaum, verschiedene Päckchen mit Medikamenten gegen Kopfweh, Übelkeit und Magen-Darm-Beschwerden, Wattestäbchen und weiche, knetbare Ohrstöpsel, Zahnbürste und Zahncreme. Sogar Zahnseide hatte er eingepackt, auch Nagelschere und Feile, einen handlichen Spiegel, seinen elektrischen Langhaarschneider und drei Golfbälle. Zu den Anlagen der Orley Towers gehörte ein Platz, wie Lynn ihm erzählt hatte, Shepard's Green, und Hanna spielte leidlich gut Golf, außerdem legte er Wert auf eine gepflegte Erscheinung. Ungeachtet dessen war nichts von dem Krempel, was es zu sein schien. Ebenso wenig war die Gitarre eine Gitarre und Carl Hanna derjenige, der er zu sein vorgab. Weder lautete sein Name so, noch war seine Vita etwas anderes als ein Konstrukt.
    Er dachte an Vic Thorn.
    Mit allem hatten sie gerechnet, nur nicht damit, dass Thorn einen Unfall haben würde. Sein Einsatz war mustergültig vorbereitet gewesen, von langer Hand geplant. Nichts hätte schiefgehen dürfen, doch dann hatte ein winziges Stückchen Space debris binnen Sekunden alles verändert.
    Hanna blickte hinaus in den Weltraum.
    Thorn war irgendwo da draußen. Hatte sich zum Inventar des Kosmos gesellt, ein Asteroid auf unbekannter Bahn. Viele hatten gemutmaßt, er müsse im Schwerefeld der Erde verblieben sein, was geheißen hätte, seinem Körper im Orbit zyklisch zu begegnen. Doch Thorn blieb verschwunden. Möglich, dass er eines fernen Tages in die Sonne stürzen würde. Denkbar, dass er im Umfeld eines Planeten auftauchte, der bewohnt war von einer nichtmenschlichen Intelligenz, irgendwann in ein paar Millionen Jahren, um dort großes Erstaunen auszulösen.
    Er hielt einen Deoroller hoch, zog die Verschlusskappe ab, setzte sie wieder auf und steckte ihn weg.
    Diesmal würde es funktionieren.
     

26. MAI 2025
    [DER AUFTRAG]
    XINTIANDI, SHANGHAI, CHINA
     
    Chen Hongbing betrat den Raum in gebeugter Haltung, wie sie Menschen zu eigen ist, deren Wuchs in ständigem Konflikt mit Türrahmen und tief hängenden Deckenleuchten steht. Tatsächlich war er für einen Chinesen außergewöhnlich groß. Andererseits ließ sich dem Architekten, der den Shikumen erbaut hatte, kaum mangelnder Respekt vor extravaganten Körpermaßen nachsagen. Der Türsturz maß drei Meter. Weder hätte es der gekrümmten Schultern noch des vorgereckten Kinns bedurft, das in Annäherung zum Brustbein unschlüssig zu verharren schien. Trotz seiner Größe wirkte Chen eingefallen und devot. Sein Blick hatte etwas Lauerndes, wie in Erwartung von Prügel oder Schlimmerem. Auf Jericho machte er den Eindruck, als habe er ein Leben lang im Sitzen mit Stehenden gesprochen.
    Falls es Chen Hongbing war.
    Der Besucher berührte flüchtig den Türrahmen mit den Fingerspitzen, als wolle er sich in Erwägung eines plötzlichen Zusammenbruchs soliden Halts versichern, schaute irritiert auf die Stapel von Umzugskisten und überquerte mit der Vorsicht eines Seiltänzers die Schwelle. Weiße Mittagssonne stand im Raum, eine Skulptur aus Licht, milliardenfach gebrochen durch aufgewirbelten Staub. Chen erschien darin wie ein Gespenst und verengte die Augen. Er sah jünger aus, als Tu Tian ihn beschrieben hatte. Straff spannte sich die Haut über Wangenknochen, Stirn und Kinn; ein Gesicht, in dem sich Falten schwer einkerbten. Lediglich um die Augen verzweigte sich ein feines Makramee, eher Sprünge als Fältchen. Auf Jericho wirkten sie wie Zeugen eines gekitteten Lebens.
    »Ta chi le hen duo Ku«, hatte Tu Tian gesagt. »Hongbing hat Bitternis gegessen, Owen, viele Jahre lang. Jeden Morgen kommt sie ihm hoch, er würgt sie runter, und eines Tages wird er dran ersticken. Hilf ihm, xiongdi.«
    Bitternis gegessen. Selbst das Elend stand in China zum Verzehr.
    Jericho schaute unschlüssig auf den Karton in seinen Händen und überlegte, ob er ihn wie geplant auf den Schreibtisch oder zurück auf den Stapel wuchten sollte. Chen kam ihm ungelegen. So früh hatte er den Mann nicht erwartet. Tu Tian hatte etwas von einer Nachmittagsvisite gesagt, und jetzt war es nicht mal zwölf. Sein Magen knurrte, Stirn und Oberlippe glänzten ölig. Je öfter er sich über Gesicht und Haare fuhr, um Staub und Schweiß zu vermischen, desto weniger glich er einem, der sich

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