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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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besseren Gesellschaft gedrückt, respektiert und überarbeitet, hing Jericho schließlich wie Blei im Erreichten, zu erschöpft, um der Chronologie seines Nomadentums das letzte Kapitel hinzuzufügen und in eine Gegend zu ziehen, in der es sich lohnte, alt zu werden. Der Schritt war überfällig, der Gedanke indes, schon wieder die Koffer zu packen, narkotisierend, sodass er es vorzog, abends matt auf dem Sofa zu liegen, während Flutlicht und Baulärm durch die Vorhänge leckten, Spielfilme zu schauen und das Mantra des Ich-muss-hier-raus vor sich hin zu murmeln, um darüber einzuschlafen.
    Es war die Zeit, da Jericho ernsthaft am Sinn seines Daseins zu zweifeln begann.
    Dabei hatte er nicht gezweifelt, als Joanna ihn nach Shanghai gelockt hatte, um ihn drei Monate später sitzen zu lassen. Er hatte nicht gezweifelt, als ihm bewusst wurde, dass er weder Geld für den Rückflug besaß noch welches, um die abgebrochenen Zelte in London wieder aufzubauen. Er hatte nicht gezweifelt in seiner ersten Shanghaier Bleibe, als er auf feuchten Teppichböden gehaust und allmorgendlich versucht hatte, der Dusche ein paar Liter bräunliches Wasser abzutrotzen, während die Fenster unter dem nie abreißenden Verkehr der doppelstöckigen, am Haus entlangführenden Schnellstraße leise klirrten.
    Er hatte sich einfach gesagt, es könne nur besser werden.
    Und das wurde es auch.
    Anfangs bot Jericho seine Dienste ausländischen Unternehmen an, die nach Shanghai gekommen waren, um hier Geschäfte zu machen. Viele fanden im fragilen Rahmen der chinesischen Gesetzgebung zum Schutz des Urheberrechts keinen Halt. Sie fühlten sich ausspioniert und bestohlen. Mit der Zeit allerdings war die Selbstbedienungsmentalität des Drachen großer Zerknirschung gewichen. Hatte China noch zu Beginn des Jahrtausends fröhlich alles plagiiert, was Hacker aus den Tiefen des globalen Ideenpools zutage förderten, verzweifelten zunehmend auch chinesische Unternehmer über der Unfähigkeit ihres Staates, Ideen zu schützen. »Es erschien uns nachahmenswert«, eine höfliche Variante von: »Natürlich haben wir's geklaut, aber wir bewundern dich dafür, es erfunden zu haben«, bekamen auch sie zu hören. Jahrelang waren die Vorwürfe der Langnasen, chinesische Firmen und Institutionen hätten ihr geistiges Eigentum gestohlen, empört zurückgewiesen oder gar nicht erst kommentiert worden, doch Jericho stellte fest, dass vor allem chinesische Firmen Bedarf an Web-Detektiven hatten. Einheimische Unternehmer reagierten begeistert auf die Tatsache, dass er während seiner Zeit bei Scotland Yard, als er geholfen hatte, die Abteilung für Cyber-Crime aufzubauen, gegen sie zu Felde gezogen war. Sie fanden, es könne nur von Vorteil sein, ihre Patente von jemandem schützen lassen, der es in der Vergangenheit so trefflich verstanden hatte, ihnen auf die Finger zu hauen.
    Denn das Problem – ein waberndes, wucherndes, unendlich gefräßiges, faktisch unkontrollierbares Monster von Problem! – bestand darin, dass Chinas kreative Elite sich kannibalisierte, solange ein landesweit wie international akzeptiertes und durchsetzbares System zum Schutz geistiger Eigentumsrechte auf sich warten ließ. Dass der Kapitalismus, von China praktisch neu erfunden, auf Eigentumsrechten fußte, dass eine Wirtschaft, deren wichtigstes Kapital Know-how war, ohne den Schutz von Marken, Patenten und Urheberrechten nicht existieren konnte, war immer schon offensichtlich gewesen, hatte aber niemanden wirklich interessiert – bis zum Tag, an dem er Opfer der Umstände wurde. Den größten wirtschaftlichen Schaden durch spionierende Chinesen erlitt China inzwischen selbst. Jeder grub den Vorgarten des anderen um, bevorzugt mit elektronischen Spaten. Die Jagd vollzog sich im Global Net, und Owen Jericho gehörte zu den Jägern, die von anderen Jägern beauftragt wurden, sobald diese den Eindruck gewannen, selber gejagt zu werden.
    Nachdem Jericho Teil jener Vernetzung geworden war, ohne die in China keine Gefälligkeit erwiesen und kein Handel abgeschlossen wurde, vollzog sich sein Aufstieg mit der Dynamik eines Raketenstarts. In fünf Jahren war er fünfmal umgezogen, zweimal aus freien Stücken, die anderen Male, weil das Haus, in dem er gerade wohnte, aus Gründen, die er sich nie merken konnte, abgerissen werden sollte. Er zog in bessere Viertel, breitere Straßen, schönere Häuser, rückte der Verwirklichung seines Traumes näher, eines der wieder aufgebauten Shikumen-Häuser mit

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