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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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wusste, dass er Tu etwas schuldete. Also bereitete er seinen Umzug vor und wartete ergeben auf das, was kommen würde.
     
    Und es kam, früher als erwartet. Es hatte die Gestalt Chen Hongbings und einen unliebsamen Auftrag zum Inhalt, um dessen Erledigung er kaum herumkam, wollte er Tu nicht beleidigen.
    Kurz nachdem Chen gegangen war, installierte Jericho sein Computer-Terminal. Er wusch sein Gesicht, brachte seine zerzausten Haare notdürftig in Ordnung und streifte ein frisches T-Shirt über. Dann machte er es sich vor dem Bildschirm bequem und ließ das System eine Nummer wählen. Auf dem Schirm erschien ein doppeltes, ineinander verschmolzenes T, Signum von TU TECHNOLOGIES. Im nächsten Moment lächelte ihn eine attraktive Mittvierzigerin an. Sie saß in einem geschmackvoll ausgestatteten Raum mit Lounge-Möbeln und durchgehenden Fensterflächen, durch die man einen Blick auf Pudongs Skyline erhaschte, und trank etwas aus einer winzigen Porzellantasse. Jericho wusste, dass es Erdbeertee war. Naomi Liu starb für Erdbeertee.
    »Guten Tag, Naomi.«
    »Guten Tag, Owen. Wie läuft der Umzug?«
    »Danke. Prächtig.«
    »Das freut mich. Herr Tu erzählte, Sie bekommen eines der neuartigen großen Terminals von uns geliefert.«
    »Heute Abend, hoffe ich.«
    »Wie aufregend.« Sie stellte die Tasse auf einer transparenten Fläche ab, die in der Luft zu schweben schien, und schaute ihn unter gesenkten Lidern an. »Dann sehe ich Sie demnächst von Kopf bis Fuß.«
    »Kein Vergleich mit der Aufregung, Sie zu sehen.« Jericho beugte sich vor und senkte seine Stimme. »Jeder wird schwören, Sie säßen leibhaftig bei mir zu Hause.«
    »Und das reicht Ihnen?«
    »Natürlich nicht.«
    »Ich fürchte, doch. Es wird Ihnen reichen, und Sie werden keine Veranlassung mehr sehen, mich persönlich zu sich einzuladen. Ich denke, ich werde meinen Boss davon überzeugen müssen, Ihnen das Ding doch nicht zu liefern.«
    »Kein holografisches Programm kommt Ihnen gleich, Naomi.«
    »Erzählen Sie ihm das.« Sie wies mit einer Kopfbewegung in die Richtung, in der Tus Büro lag. »Sonst kommt er noch auf die Idee, mich durch eines zu ersetzen.«
    »Ich würde augenblicklich alle Geschäftsbeziehungen abbrechen. – Bei der Gelegenheit –«
    »Ja, er ist da. Machen Sie's gut. Ich stelle Sie durch.«
    Jericho mochte das Ritual ihres kleinen Flirts. Naomi Liu war das Nadelöhr, durch das Beziehungen zu Tu Tian gefädelt wurden. Ihr Wohlwollen konnte sehr von Nutzen sein. Außerdem hätte Jericho keinen Moment lang gezögert, sie in seine Wohnung zu bitten, nur dass sie der Einladung kaum Folge leisten würde. Sie war glücklich verheiratet und Mutter zweier Kinder.
    Kurz drehte sich wieder das schimmernde Doppel-T, dann erschien Tus klotziger Schädel auf dem Schirm. Was ihm an Haar geblieben war, konzentrierte sich auf einen Bereich oberhalb der Ohren, wo es grau und borstig abstand. Eine schmale Brille balancierte auf seiner Nase. Der linke Bügel erweckte den Anschein, als werde er von transparentem Klebeband zusammengehalten. Er hatte die Ärmel hochgerollt und schaufelte klebrig aussehende Nudeln in sich hinein, die er mit klappernden Stäbchen aus einer Pappschachtel fischte. Der große Arbeitstisch hinter ihm war vollgestellt mit Bildschirmen und Holo-Projektoren. Dazwischen stapelten sich Festplatten, Fernbedienungen, Broschüren, Pappbecher und Reste irgendwelcher Verpackungen.
    »Nein, du störst nicht«, nuschelte Tu mit vollem Mund, als hätte Jericho diesbezüglich Sorge an den Tag gelegt.
    »Das sehe ich. Warst du mal in deiner Kantine? Sie kochen da frisches Essen.«
    »Na und?«
    »Richtiges Essen.«
    »Das ist richtiges Essen. Ich hab kochendes Wasser draufgeschüttet, und es wurde Essen draus.«
    »Weißt du wenigstens, was es sein soll? Steht was auf der Packung?«
    »Irgendwas halt.« Tu kaute gleichmäßig weiter. Seine wulstigen Lippen bewegten sich wie kopulierende Gummischläuche. »Menschen mit deiner anarchistischen Zeitplanung werden das vielleicht nicht verstehen, aber es gibt Gründe, im Büro zu essen.«
    Jericho gab es auf. Seit er Tu kannte, hatte er ihn so gut wie nie eine gesunde, wohlschmeckende Mahlzeit verzehren sehen. Es schien, als habe der Manager es sich zur Aufgabe gemacht, den Ruf der chinesischen Küche als die beste, vielseitigste und frischeste der Welt im Alleingang zu ruinieren. Er mochte ein genialer Erfinder und begnadeter Golfer sein – kulinarisch hätte sich Kublai Khan neben ihm

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