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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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nicht zu sehen.
    »Ich dachte eigentlich, das wäre dir schon auf dem Golfplatz klar geworden.«
    »Davon rede ich nicht. Ich will damit sagen, dass der Fall anders liegt als üblich. Ich soll eine Dissidentin suchen, um sie zu schützen.«
    »Eine ehemalige Dissidentin.«
    »Ihr Vater sieht das anders. Warum hätte Yoyo untertauchen sollen, wenn nicht aus Angst? Es sei denn, man hat sie verhaftet. Du hast selbst gesagt, sie neigt dazu, die falschen Leute anzupissen. Vielleicht ist jemand in ihren Strahl geraten, der eine Nummer zu groß für sie war.«
    »Und was gedenkst du zu unternehmen?«
    »Du weißt genau, was ich tun werde«, schnaubte Jericho. »Natürlich werde ich Yoyo suchen.«
    Tu nickte. »Das ist nobel von dir.«
    »Nein, es ist selbstverständlich. Der Haken an der Sache ist nur, dass ich diesmal an den Behörden vorbeiarbeiten muss. Ich brauche also jede erdenkliche Information über Yoyo und ihr Umfeld, und dabei bin ich auf deine Hilfe angewiesen. Mein Eindruck von Chen Hongbing war, dass er äußerst ehrenwert und äußerst verschlossen ist. Vielleicht auch ein bisschen blind auf einem Auge, jedenfalls musste ich ihm die Würmer einzeln aus der Nase ziehen.«
    »Was hat er dir erzählt?«
    »Er hat mir Yoyos neue Adresse gegeben. Ein paar Filme und Fotos. Einen Haufen Andeutungen gemacht.«
    Tu nestelte die Sonnenbrille von seiner Nase und versuchte, die andere Brille in eine halbwegs waagerechte Position zu bringen. Jericho stellte fest, dass ihn sein Eindruck nicht getrogen hatte: Der rechte Bügel war tatsächlich mit Klebeband umwickelt. Einmal mehr fragte er sich, warum Tu seine Augen nicht operieren ließ oder auf selbsttönende Kontaktlinsen umstieg. Kaum jemand trug noch Brillen, um besser sehen zu können. Sie fristeten ein Dasein als Modeartikel, und von modischen Dingen war Tu Tian in etwa so weit entfernt wie ein Neandertaler vom Atomzeitalter.
    Eine Weile herrschte Schweigen. Jericho blinzelte in die Sonne und sah einem Flugzeug nach.
    »Also«, sagte Tu. »Stell deine Fragen.«
    »Es gibt nichts zu fragen. Erzähl mir was über Yoyo, was ich noch nicht weiß.«
    »Sie heißt eigentlich Yuyun –«
    »So viel hat mir Chen auch schon verraten.«
    »– und gehört einer Gruppe an, die sich Die Wächter nennt. Das hat er dir nicht verraten, stimmt's?«
    »Die Wächter.« Jericho pfiff leise durch die Zähne.
    »Du hast davon gehört?«
    »Und ob. Internet-Guerilleros. Einsatz für Menschenrechte, Aufwärmen alter Geschichten wie Tian'anmen, Attacken auf Netze der Regierung und der Industrie. Sie machen der Partei mächtig Dampf.«
    »Und die ist entsprechend nervös. Die Wächter sind ein anderes Kaliber als unsere süße Titanmaus.«
    Liu Di, die Frau, die sich Titanmaus nannte, gehörte zu den Pionieren der Internet-Dissidenten. Anfang des Jahrtausends hatte sie begonnen, im Netz kantige kleine Kommentare über die politische Elite zu veröffentlichen, noch unter dem Decknamen Edelstahlmaus. Pekings Führung begann sich über der Vorstellung zu gruseln, dass man virtuelle Personen nicht so einfach verhaften konnte wie solche aus Fleisch und Blut. Sie zeigten Präsenz, ohne präsent zu sein. Der Chef der Pekinger Sicherheitspolizei vermerkte, die neue Bedrohung gäbe Anlass zu äußerster Besorgnis, der gesichtslose Feind sei der schlimmste, womit er die erste Generation der Netz-Dissidenten maßlos überschätzte – die meisten kamen gar nicht auf den Gedanken, ihre Identität zu tarnen, und wer es doch tat, beging früher oder später andere Fehler.
    Die Edelstahlmaus etwa war in die Mausefalle gelaufen, als sie den Gründer einer neuen demokratischen Partei ihrer Unterstützung versicherte, nicht wissend, dass dieser ein auf sie angesetzter Beamter war. Daraufhin hatte man sie auf ein Polizeirevier verschleppt und ein Jahr lang ohne Gerichtsverfahren in Haft genommen. Im Folgenden jedoch lernte die Partei ihre nächste Lektion: dass man Menschen zwar hinter Mauern verschwinden lassen konnte, nicht aber im Netz. Dort erlangte Liu Dis Fall Bedeutung, machte in China die Runde und zog das Interesse der Auslandspresse auf sich. Als Folge erlangte die Welt Kenntnis von einer schüchternen, 21-jährigen Frau, die alles nicht so ernst gemeint hatte. Das also war der mächtige, gesichtslose Feind, vor dem die Partei erzitterte.
    Nach ihrer Freilassung war Liu Di von Edelstahl auf ein härteres Metall umgestiegen. Titanmaus hatte dazugelernt. Sie erklärte einem Apparat den Krieg, den Mao

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