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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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haben sie denn zurückgelassen?«, fragte Nair mit leuchtenden Augen.
    »Einen Scheiß«, brummelte Locatelli.
    »Warum so defätistisch?«
    »Bin ich nicht. Sie haben ihre Scheiße zurückgelassen. Jeder weiß das, alles andere wäre ja bescheuert gewesen, oder? Glauben Sie mir, wo immer so ein Gestell steht, liegt Astronautenscheiße in der Gegend rum.«
    Nair nickte. Selbst das schien ihn zu faszinieren. Zügig überflog das Raumschiff weitere Rillen, Berge und Krater und schließlich das Gestade des Mare Tranquillitatis. Hedegaard wies sie auf einen kleinen Krater hin, nach Moltke benannt und für seine ausgedehnten Höhlensysteme bekannt, die fließende Lava vor Urzeiten geschaffen hatte.
    »Ähnliche Systeme hat man in den Wänden und Hochebenen des Kraters Peary am Nordpol vorgefunden, wo die amerikanische Mondbasis errichtet wurde. Moltke besuchen wir, wenn der Mondabend heraufdämmert und der Terminator mitten im Krater steht. Einzigartiges Schauspiel! Und dann gibt's da natürlich noch das Museum, landschaftlich zwar öde, aber Pflicht, weil –«
    »Lassen Sie mich raten«, rief Ögi. »Apollo 11.«
    »Richtig«, strahlte Hedegaard. »Man muss wissen, die Apollo-Missionen waren auf den schmalen, äquatorialen Gürtel angewiesen. Spektakuläre Landeplätze standen nicht zur Debatte, es ging darum, überhaupt einen Fuß auf den Mond zu setzen. Natürlich überwiegt heute der symbolische Wert des Museums. Inzwischen stoßen Sie überall auf Zeugen ehemaliger Besuche, in weit interessanteren Gegenden, aber Armstrongs Fußabdrücke – die gibt's halt nur dort.«
    Der Flug führte unterhalb des Mare Crisium hindurch, des dunkelsten der Mondmeere, in dem, wie Hedegaard erklärte, die höchste je auf dem Mond gemessene Schwerkraft herrsche. Eine Weile sahen sie nichts als wild zerklüftete Landschaften und länger werdende Schatten, die sich unheilvoll in Täler und Ebenen ergossen, ausgedehnte Lachen bildeten und die Kratertöpfe füllten, bis nur noch die höchsten Ränder im Sonnenlicht lagen. Chambers fröstelte beim Gedanken, in der konturlosen Finsternis umherirren zu müssen, dann verschwanden auch die letzten der leuchtenden Inseln, und enigmatische Schwärze legte sich auf die Monitore, sickerte in Arterien und Hirnwindungen und absorbierte den Seelenfrieden.
    »The dark side of the moon«, seufzte Walo Ögi. »Kennt die noch einer? Pink Floyd? Klasse Album.«
    Lynn, die sich während der Reise weitgehend stabil gefühlt hatte, hockte im Abgrund ihrer selbst. Erneut schien aller Lebensmut aus ihr herausgesaugt zu werden. Auf der Rückseite des Mondes sah man keine Erde und leider auch gerade keine Sonne. Wenn es eine Hölle gibt, dachte sie, wird sie nicht heiß und feurig sein, sondern kalt und von nihilistischer Schwärze. Es bedurfte keiner Teufel und Dämonen, Folterbänke, Scheiterhaufen und siedenden Kessel, um sie sich vorzustellen. Die Abwesenheit des Vertrauten, der inneren wie der äußeren Welt, das Ende allen Fühlens, das war die Hölle. Sie kam völliger Erblindung gleich. Sie war das Ersterben jeder Hoffnung, das Vergehen in Angst.
    Durchatmen, Körper spüren.
    Sie brauchte Bewegung, sie musste hier raus und laufen, denn wer lief, brachte den erkalteten Stern in seinem Innern wieder zum Glimmen, doch sie saß angeschnallt auf ihrem Sitz, während die Charon durch die Lichtlosigkeit raste. Wovon redete Ögi da? The dark side of the moon. Wer war Pink Floyd? Warum plapperte Hedegaard unentwegt dummes Zeug? Konnte nicht einer die blöde Gans zum Schweigen bringen? Ihr den Hals umdrehen, ihr die Zunge rausreißen?
    »Die Rückseite des Mondes ist nicht zwangsweise dunkel«, flüsterte sie. »Er wendet der Erde nur immer dieselbe Seite zu.«
    Tim neben ihr drehte den Kopf.
    »Hast du was gesagt?«
    »Er wendet der Erde immer nur dieselbe Seite zu. Die Rückseite sieht man nicht, aber sie liegt ebenso oft im Licht wie die Vorderseite.« Atemlos stieß sie die Worte hervor. »Die Rückseite ist nicht dunkel. Nicht zwangsläufig. Der Mond wendet der Erde nur immer –«
    »Hast du Angst, Lynn?«
    Tims Besorgnis. Ein Seil, das ihr zugeworfen wurde.
    »Blödsinn.« Sie sog Luft in ihre Lungen. »Ich bin die Strecke schon dreimal geflogen. Man muss keine Angst haben. Gleich kommen wir wieder ins Licht.«
    »– Ihnen versichern, dass Sie nicht viel verpassen«, sagte Hedegaard gerade. »Die Vorderseite ist bei Weitem interessanter. Bemerkenswerterweise gibt es auf der Rückseite so gut wie keine

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