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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Marsch in die Zukunft, der seine Nächsten vernachlässigte oder zu Fetischen erklärte, unfähig, ihr Bedürfnis nach einem Quantum Normalität nachzuvollziehen?
    Es war so hübsch einfach gewesen, ihn zu hassen.
    Der Julian allerdings, den er in der Enge des Raumschiffs kennengelernt hatte, verunsicherte ihn damit, nicht ignorant und egoman zu sein, jedenfalls nicht hinreichend genug, um Tims vernichtendes Urteil über ihn aufrechtzuerhalten. Vielmehr ließ er Erinnerungen an Zeiten kindlicher Bewunderung aufkommen. An Crystal, seine Mutter, die bis zum Moment, da ihr Verstand erodiert war, darauf bestanden hatte, nie einen liebevolleren Menschen gekannt zu haben als seinen Vater, die ihn mit Sonnenstrahlen verglichen hatte, beglückend und leider flüchtig. Der solcherart Gehuldigte war eine Stunde vor ihrem Tod mit einem selbst gebauten Suborbitalflugzeug in die Thermosphäre entwichen, obwohl er wusste, wie kritisch ihr Zustand war. Er hatte es gewusst – und jenen entscheidenden Moment lang vergessen, dessen es bedurfte, einen Rekord zu brechen, einen Preis zu gewinnen und sich seinen Sohn zum immerwährenden Feind zu machen.
    Lynn hatte Julian verziehen.
    Tim nicht.
    Stattdessen hatte er seine Dämonisierung betrieben. Und immer noch mochte er Julian nicht vergeben, obschon oder gerade weil er den Eckpfeiler seines Abscheus bröckeln sah. Dieses Hotel konnte nicht einzig der Logik des Profits und einem ruinösen Selbstverwirklichungstrieb entsprungen sein. Es musste mehr dahinterstecken, ein Traum, zu gewaltig, um zwischen einer Handvoll Familienmitgliedern aufgeteilt zu werden. Ob es ihm passte oder nicht, insgeheim begann er den Alten zu verstehen, seine malariahaften Schübe von Entdeckungsdrang, seine Nomadennatur, die ihn Wege finden ließ, wo andere Wände sahen, sein Bekenntnis zu den Kräften der Fortentwicklung und Erneuerung, und er empfand Eifersucht auf Julians große Geliebte, die Welt. Einhergehend mit dem Schwelbrand seines Gesinnungswandels drängte sich die Vorstellung auf, bezüglich Lynns übertrieben zu reagieren, sie vielleicht sogar – ohne dies zu beabsichtigen! – gegen Julian zu missbrauchen, indem er weniger ihr Wohl im Auge hatte als Julians Schuld an ihrem Leid. Er liebäugelte mit der Vorstellung, dass es ihr in Wirklichkeit ebenso gut ging, wie sie ständig behauptete, und er sich seiner versöhnlicher werdenden Haltung nicht zu schämen brauchte. Und plötzlich, beim Dinner in Gaias Nasengegend respektive dort, wo sie ihre Nase hätte haben müssen, das Panorama der Schlucht vor Augen, wünschte er sich nichts mehr, als einfach nur Spaß haben zu dürfen, ohne die Gespenster der Vergangenheit am Tisch, die ihn wie schlechter Umgang begleiteten.
    »Dir scheint's ja zu schmecken«, konstatierte Amber.
    Sie saßen an einer langen Tafel im schwarzsilberblau gehaltenen Selene und aßen Rotbarbe auf Safranrisotto. Der Fisch schmeckte, als habe man ihn eben aus dem Meer gefischt.
    »Salzwasserzucht«, belehrte sie Axel Kokoschka, der Koch. »Haben große Tanks im Untergrund.«
    »Ist das nicht einigermaßen kompliziert, hier oben ozeanische Verhältnisse zu schaffen?«, fragte Karla Kramp. »Ich meine, man kippt doch nicht einfach Salz ins Wasser?«
    Kokoschka überlegte. »Nicht einfach so.«
    »Die Salinität ist auf der Erde doch auch je nach Biotop verschieden, oder? Braucht es nicht eine spezielle Zusammensetzung, um eine Umgebung zu erzeugen, in der die Tiere überleben können? Chlorid, Sulfat, Natrium, Beimischungen von Calcium, Kalium, Jod, et cetera.«
    »'n Fisch muss sich zu Hause fühlen, stimmt.«
    »Ich will's ja nur verstehen. Sind nicht viele Fische auf eine permanente Strömung angewiesen, ausgewogene Sauerstoffzufuhr, geregelte Temperatur, all das?«
    Kokoschka nickte nachdenklich, strich sich mit scheuem Lächeln über die Glatze, rieb ausgiebig seinen Dreitagebart, sagte: »Genau« und entwich. Kramp sah ihm verblüfft hinterher.
    »Danke, dass Sie's mir erklärt haben«, rief sie.
    »Kein Meister der großen Worte, was?«, grinste Tim.
    Sie stach ein Stückchen Rotbarbe ab und ließ es zwischen ihren Modigliani-Lippen verschwinden.
    »Wenn er es schafft, einen Fisch auf dem Mond so zuzubereiten, kann er sich meinetwegen die Zunge rausschneiden.«
    Zwei Restaurants und zwei Bars teilten sich auf vier Ebenen Gaias frontverglasten Schädel. Die Scheiben wölbten sich bis in die Schläfengegend, sodass man von überall cinemaskopische Rundumblicke genoss. Selene und

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