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Limit

Limit

Titel: Limit
Autoren: Frank Schätzing
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telefonierte sie schon wieder.
     
    »Rebecca Hsu ist im Anmarsch«, sagte Norrington über Sprechfunk.
    Lynn verließ die Küche des Stellar Island Hotels, warf einen prüfenden Blick auf die Kanapees, instruierte ihre kleine Begleittruppe und trat hinaus ins Sonnenlicht.
    »Hat sie Leibwächter mitgebracht?«, wollte sie wissen.
    »Nein. Dafür hat sie sich mehrfach rückversichert, ob wir allen Ernstes vorhaben, ihr die Anlegeerlaubnis zu verweigern.«
    »Wie bitte? Rebecca will ihre verdammte Yacht bei uns parken?«
    »Beruhigen Sie sich. Wir sind hart geblieben. Jetzt kommt sie mit dem Schnellboot.«
    »Das ist okay. Wann trifft sie ein?«
    »In etwa zehn Minuten. Falls sie unterwegs nicht über Bord geht.« Eine Vorstellung, die Norrington fröhlich zu stimmen schien. »Hier gibt's doch sicher ein paar kapitale Haie, oder? Als ich unser aller Darling zuletzt sah, war sie gut für ein Festmahl.«
    »Wenn Rebecca Hsu gefressen wird, sind Sie der Nachtisch.«
    »Humorvoll und entspannt wie immer«, seufzte Norrington und beendete das Gespräch.
    Im Laufschritt folgte sie dem Küstenpfad, während sich ihr Geist aufspaltete und Dutzende besorgter Lynns körperlos durch die Hotelanlage spukten. Hatte sie irgendetwas übersehen? Jede der benötigten Suiten erglänzte in Makellosigkeit. Schon in der Raumausstattung waren die persönlichen Vorlieben der Gäste berücksichtigt worden, Lilien, bergeweise Litschis und Passionsfrüchte für Rebecca Hsu, Momoka Omuras favorisierter Champagner, ein Prachtband über die Geschichte des Autorennsports auf Warren Locatellis Kopfkissen, Reproduktionen asiatischer und russischer Kunst an den Wänden der Ögis, altes Blechspielzeug für Marc Edwards, die Biografie Muhammad Alis mit nie zuvor veröffentlichten Fotos zur Erbauung des guten alten Chucky, mit Schokolade aromatisierte Badeessenzen für Miranda Winter. Auch im Menü schlugen sich Vorlieben und Animositäten nieder. Lynns Sorgengespenster seufzten in den Saunen und Jacuzzis der Wellnesslandschaft, strichen eisig über den Golfplatz, verströmten sich klamm im Stellar Island Dome, dem unterirdischen Multimediacenter, fanden nichts zu bemängeln.
    Was funktionieren musste, funktionierte.
    Außerdem, niemand würde sehen, dass sie nicht rechtzeitig fertiggeworden waren. Es sei denn, die Gäste öffneten Türen, hinter denen sie nichts verloren hatten. In den meisten Zimmern lag immer noch Handwerkszeug herum, stapelten sich Zementsäcke, waren die Malerarbeiten nur zur Hälfte durchgeführt worden. Im Wissen, dass sie den offiziellen Eröffnungstermin nicht einhalten konnte, hatte Lynn allen Ehrgeiz in die Fertigstellung der benötigten Suiten gelegt. Lediglich ein Teil der Küche war in Betrieb, ausreichend, um die Gruppe zu verwöhnen, keinesfalls aber 300 Besucher, für die das Hotel eigentlich konzipiert war.
    Kurz hielt sie inne und betrachtete den schimmernden, mit dem Basalt verwachsenen Ozeandampfer. Als sei ihr Verharren ein Signal, stoben Hundertschaften von Seevögeln mit hungrigen, spitzen Schreien von einer nahen Klippe auf und formierten sich zu einer schwärmenden Wolke, die landeinwärts zog. Lynn erschauderte. Sie stellte sich vor, wie die Tiere über die Anlage herfielen, sie vollschissen, zerhackten und zerkratzten und die wenigen Menschen ins Meer jagten. Sie sah Körper im Pool treiben, Blut sich mit Wasser mischen. Die Überlebenden rannten auf sie zu und schrien sie an, warum sie den Überfall nicht verhindert habe, und am lautesten von allen schrie Julian. Auch die Hotelbediensteten waren stehen geblieben. Ihre Blicke wanderten zwischen Lynn und dem Hotel hin und her, zusehends verunsichert, da ihre Anführerin plötzlich den Anschein erweckte, als schaue sie das Jüngste Gericht.
    Nach einer Minute völliger Erstarrung riss sie sich los und folgte wieder dem Küstenpfad zum Hafen.
    Andrew Norrington sah sie weitergehen. Von der Anhöhe oberhalb des Pools, auf der er Posten bezogen hatte, konnte er weite Teile des Ostufers überblicken. Im Hafen, einer durch Sprengungen erweiterten Naturbucht, lagen mehrere kleine Schiffe vor Anker, vornehmlich Patrouillenboote und einige Zodiacs, gekennzeichnet mit dem charakteristischen O von Orley Enterprises. Er hätte Rebecca Hsus Yacht durchaus Platz geboten, doch nicht im Traum dachte Norrington daran, der Taiwanesin eine Sonderbehandlung zuteilwerden zu lassen. Alle anderen hatten sich vereinbarungsgemäß mit Orleys firmeneigenen Hubschraubern herfliegen
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