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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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fluteten ihre Oberfläche mit Desinfektionsmitteln.
    Jericho fragte, ob er etwas tun könne.
    Der Junge, kaum älter als sechzehn, bedachte ihn mit einer genuschelten Verwünschung und wankte zur Bar. Sein Körper war ausgemergelt, sein Blick nicht länger auf die Präsenz der Dinge gerichtet. Nach einer Weile kehrte er zurück, etwas kauend, von dem er wahrscheinlich kaum wusste, was genau es war. Jericho drängte es, ihn mit dem Tatbestand seiner Dehydrierung vertraut zu machen und ihm eine Flasche Wasser zu spendieren, die der Junge ihm zum Dank vermutlich ins Gesicht schütten würde. Wenn überhaupt etwas in seinen Augen verblieben war, dann die glimmende Aggressivität derer, die um den Verlust ihrer letzten Illusionen fürchten.
    Keiner der Scanner sandte das erlösende Signal.
     

MONTES ALPES, MOND
     
    Südöstlich des Kessels, der den Beginn des Vallis Alpina markierte, erstreckte sich eine Reihe markanter Gipfel bis hinunter zum Promotorium Agassiz, einem gebirgigen Kap am Rande des Mare Imbrium. In ihrer Gesamtheit erinnerte die Formation mehr an die aufgeworfenen Ränder irdischer Subduktionszonen als an mondübliche Ringgebirge. Erst aus großer Höhe offenbarte sich die unheimliche Wahrheit, dass nämlich das Mare Imbrium, so wie alle Maria, selbst ein Krater enormen Ausmaßes war, entstanden in der Frühzeit des Trabanten vor über drei Milliarden Jahren, als dessen Mantel unter der gerade erstarrenden Oberfläche noch flüssig gewesen war. Verheerende Einschläge hatten die junge Kruste aufgerissen, Lava war aus dem Inneren emporgestiegen, in die Becken gelaufen und hatte jene dunklen Basaltebenen geschaffen, aus denen Astronomen wie Riccioli auf das Vorhandensein lunarer Meere schlossen. In Wirklichkeit markierte die komplette, 250 Kilometer lange Alpenkette eben mal den zehnten Teil eines derart kolossalen Ringwalls, dass Kratergiganten vom Format eines Clavius, Copernicus oder Ptolemaeus daneben zu bloßer Pockennarbigkeit zusammenschrumpften.
    Die gewaltigste aller alpinen Kumulationen war der Mons Blanc. Mit gut dreieinhalbtausend Metern Höhe verfehlte er sein irdisches Pendant, was seiner titanischen Natur jedoch keinen Abbruch tat. Nicht nur erschloss sich von seinen Höhenrücken aus die desperate Weite des südwestlichen Mare Imbrium, auch fühlte man sich den Sternen hier oben noch ein wenig näher, beinahe so, als müsse man nun endlich auch von ihnen bemerkt und auf angemessene Weise begrüßt werden.
    Und tatsächlich, sie grüßten. Als nämlich Julian in plötzlicher, unerklärlicher Erwartung, die Glutspur einer Sternschnuppe zu sehen, den Blick zur Cassiopeia hob, antwortete ihm der Himmel, indem er seine Milliarden teilnahmslos starrender Augen vorübergehend die Plätze tauschen und sich zur Essenz eines kosmischen Tadels zusammenfinden ließ, zu einem einzelnen, deutlich lesbaren Wort: IDIOT! Im Subtext, es gibt keine Sternschnuppe ohne Atmosphäre, allenfalls das Sonnenlicht durcheilende Asteroiden, also was soll's bitte schön sein, und diesmal gefälligst präzise ausdrücken!
    Julian verharrte. Natürlich formte der Himmel das Wort nur sehr kurz, sodass weder Mimi Parker, Marc Edwards, Eva Borelius noch Karla Kramp es wahrnahmen, ebenso wenig Nina Hedegaard, die ihre kleine Gemeinschaft von Bergsteigern anführte – sofern die Bezwingung einiger Hundert Meter moderat ansteigenden Geländes die Bezeichnung Bergsteigen rechtfertigte. In Sichtweite ruhte die Kallisto, die sie die 40 Kilometer vom Hotel hierher gebracht hatte, bis unterhalb des Gipfels; ein klobiges, für drei Dutzend Passagiere dimensioniertes Düsenshuttle von geblähter Hummelhaftigkeit. Julian wusste, dass Generationen künftiger Touristen vom Design der Mondfahrzeuge enttäuscht sein würden. Aber es gab nicht den geringsten Grund für Aerodynamik im Vakuum, es sei denn –
    Man baute sie trotzdem aerodynamisch. Einfach so.
    Der Gedanke besaß Potenzial für einen Flirt, doch Julian flirtete nicht. Sternschnuppen blockierten sein Denken, obwohl ihn die blöden Dinger nicht mal sonderlich interessierten. Was hatte ihn dann veranlasst, an sie zu denken? Hatte er überhaupt an sie gedacht oder eher an huschende Lichterscheinungen im Allgemeinen? Durchs Hirn huschend, dem stetig zirkulierenden Teilchenfluss seiner Gedanken entspringend, Ausdruck eines komplexeren Ganzen. Er spürte dem Bild nach, verfolgte es über den Tagesverlauf zurück bis in die frühen Morgenstunden, verdichtete es, zwang es in

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