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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Anwandlung von Selbstlosigkeit erweiterte er seine Sorge auf Daxiong, während er das Parkgeschoss durcheilte, hoffend, niemand werde ihm begegnen mit seinem rußgeschwärzten Gesicht, doch auch der Lift war unbevölkert. Gleichmäßiges Licht lag auf den Wänden der Kabine, freundlich summte das Aggregat. Als er endlich die Tür seines Lofts hinter sich zuknallte, hatte ihn niemand zu Gesicht bekommen.
    Stoßartig ließ er die Luft entweichen und fuhr sich mit den Händen über Gesicht und Haare.
    Er schloss die Augen.
    Sofort sah er die Leichen, den Jungen mit dem weggeschossenen Gesicht, das sterbende, sich drehende Mädchen, aus dessen zerfetzter Schulterarterie hellrote Fontänen schossen, ihren abgetrennten Arm, sah sich die Waffe aus ihren verkrallten Fingern lösen – was war los, was lief schief? Hatte er nicht ein friedliches Leben führen wollen? Jetzt das. Innerhalb weniger Tage. Geschändete Kinder, verstümmelte Jugendliche, er selbst mehr tot als lebendig. Realität? Ein Traum, ein Film?
    Ein Film, genau. Dazu Popcorn und was Kaltes. Zurücklehnen. Was wurde als Nächstes gezeigt? Teil zwei, Quyu, die Rückkehr?
    Die Eindrücke schnappten nach ihm wie tollwütige Köter. Er durfte das alles nicht an sich heranlassen. Nichts davon würde er je wieder loswerden, die Bilder gehörten von Stund an zum Repertoire durchwachter Nächte, doch jetzt musste er nachdenken. Gedanken aufeinanderschichten wie Klötzchen. Einen Plan fassen.
    Schuhe, T-Shirt und Hose achtlos im Raum verteilend, ging er ins Bad, drehte das Wasser auf, wusch Ruß und Blut von der Haut, zog Bilanz. Yoyo und Daxiong waren entkommen. Eine Hypothese, zugegeben, vorübergehend in den Stand des Faktischen erhoben, aber von irgendetwas musste er schließlich ausgehen. Zweitens, Yoyo hatte ihren Computer retten können, in dessen Besitz er nun war. Natürlich wäre Zhao nicht so naiv zu glauben, die Daten befänden sich ausschließlich im Speicher dieses einen, kleinen Geräts. Die Zerstörung der Zentrale war kein Akt bloßer Willkür gewesen, sie hatte dem Zweck gedient, die Infrastruktur der Gruppe zu zerstören und möglichst jedes weitere Gerät, auf das Yoyo die Daten überspielt hatte. Andererseits mochte Yoyos Bluff den gewünschten Effekt erzielt haben, als sie Zhao suggerierte, ihren Computer in der Zentrale zurückgelassen zu haben. Er musste glauben, zumindest dieses Problem gelöst zu haben.
    Was würde er als Nächstes unternehmen?
    Die Antwort lag auf der Hand. Natürlich würde er sich fragen, was ihn seit Tagen unablässig beschäftigte: wem Yoyo von ihrer Entdeckung erzählt hatte, und wer davon noch lebte.
    Ich weiß davon, dachte er, während die heißen Wasserstrahlen seinen Nacken massierten. Nein, falsch! Ich weiß, dass sie etwas herausgefunden hat, nicht was. Zhao wiederum weiß, dass ich nichts weiß. Hübsch sokratisch. Ich bin nicht wirklich ein Mitwisser, nur Zeuge einiger unerfreulicher Begebenheiten.
    Nur? Es reichte für Platz zwei auf Zhaos Abschussliste.
    Andererseits, wie hoch lag die Wahrscheinlichkeit, dass Zhao vorhatte, auch ihn zu töten? Sehr hoch, realistisch betrachtet, doch erst mal mochte er darauf hoffen, dass Jericho, der vertrauensselige Schussel, ihn ein weiteres Mal zu Yoyo führen würde.
    Jericho hielt inne, das Haupthaar eine Skulptur aus Schaum.
    Warum war Zhao ihm dann nicht hierher gefolgt?
    Ganz einfach. Weil Yoyo tatsächlich hatte entkommen können! Zhao vermutete sie unverändert in Quyu. Er hatte es vorgezogen, die Suche nach ihr fortzusetzen, abgesehen davon brauchte er Jericho nicht zu folgen, schließlich wusste er, wo er ihn finden würde.
    Dennoch. Zeit gewonnen.
    Wieviel?
    Er spülte den Schaum aus den Haaren. Schwarze Rinnsale liefen an Brust und Armen herunter, als trete immer neuer Dreck aus seinen Poren zutage. Brennender Schmerz kündete von etlichen Abschürfungen, die er sich beim Crash in der Konverterhalle zugezogen hatte. Er fragte sich, wie es Yoyo gerade ging. Unzweifelhaft traumatisiert, wenngleich ihr Mundwerk weniger vom Schock betroffen schien und mit tröstlicher Verlässlichkeit Verbalinjurien produzierte, Indiz für mentale Unversehrtheit oder zumindest eine gewisse Resistenz. Das Mädchen, schätzte er, war zäh wie Haifischleder.
    Er stellte das Wasser ab.
    Früher oder später würde Zhao hier auftauchen. Nicht auszuschließen, dass er bereits auf dem Weg war. Er fingerte nach einem Handtuch, lief, sich abrubbelnd, durch die sonnengeflutete Weite seines

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