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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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mochte sich noch als nützlich erweisen. Xin ließ ihn ziehen. Yoyo war wichtiger. Weit konnte sie nicht gekommen sein, dennoch würde er sich mit dem Gedanken anfreunden müssen, das Mädchen fürs Erste verloren zu haben. Er entschied, wenigstens so lange hierzubleiben und nach ihr Ausschau zu halten, bis die Ordnungskräfte auftauchten.
    Ungeachtet seiner Niederlage empfing er in dieser Sekunde ein deutliches Bild des Universums. Existenzen, die bläschengleich entstanden und zerplatzten, wogender Schaum des Werdens und Vergehens, Kenny Xin indes unvergänglich, die Mitte, der Punkt, in dem sich alle Linien kreuzten. Die Vorstellung beruhigte ihn. Er hatte Chaos und Vernichtung gesät zum Ausgleich höherer Bilanzen. Die Reste des Gitterturms gesellten sich zu den brennenden Trümmern am Boden, im Westen schlugen die Flammen hoch aus der Konverterhalle. Geringere als er hätten von Zerstörung gesprochen, doch Xin erblickte nichts als Harmonie. Das Feuer entfaltete seine reinigende Wirkung, heilte die Welt vom infektiösen Befall der Armut, brannte den Eiter aus dem Organismus der Megalopolis.
    Zugleich rekapitulierte er mit buchhalterischer Gewissenhaftigkeit seinen Auftrag, übersetzt in die Sprache des Geldes. Denn Xin hatte gelernt, auf dem Ozean seiner Gedanken sicher zu navigieren. Ganz ohne Zweifel war er verrückt, wie seine Familie immer behauptet hatte, nur dass er um seinen Wahnsinn wusste. Von all den Dingen, die er an sich liebte, erfüllte ihn dies mit besonderem Stolz, Analytiker seiner selbst zu sein, distanziert feststellen zu können: Er war ein lupenreiner Psychopath. Welch ungeheure Macht diese Erkenntnis barg! Zu wissen, wer er war. In ein und derselben Sekunde alles sein zu können, Künstler, Sadist, Empath, höheres Wesen, stinknormaler Durchschnitt. Jetzt gerade hatte der Karrierist den Vorsitz über das Gremium seiner Persönlichkeiten übernommen, der das Vertragliche regelte und eine Villa am Meer, durchsummt von der Geschäftigkeit dienstbarer Geister, einer Existenz als Mittelpunkt des Universums vorzog. Es war dieser bodenständige, berechenbare Xin, der sein verrücktes, pyromanes Alter Ego in die Schranken wies und zur Effizienz anleitete.
    Er war so viele. So vieles.
    Hoch oben auf seinem Schornstein begann Xin, der Planer, sich zu fragen, was er tun musste, damit Yoyo sich freiwillig bei ihm einfand.
     

JERICHO
     
    Eine Weile steuerte er das Bike unter der Hochtrasse der Stadtautobahn hindurch, die Quyu von der wirklichen Welt trennte. Zu seinen Füßen strebte der Verkehr lärmend nach Westen, konterkariert vom Wummern und Dröhnen, das die dahinrasenden CODs auf der Trasse über ihm verursachten. Er war gefangen in einem Sandwich aus Lärm. Als jenseits der Pfeilerbögen zwei Flugmobile der Polizei mit heulenden Sirenen heranjagten, schlug er sich zwischen die stalagmitenhafte Ansammlung sandfarbener Hochhäuser, kennzeichnend für die urbane Steppe rings um die innerstädtischen Viertel Shanghais, und folgte dem Verlauf der Hauptstraße nach Hongkou. Dabei versuchte er so tief wie möglich im Häusercanyon zu bleiben. Vermutlich unterschritt er die zulässige Mindestflughöhe auf sträfliche Weise, nur dass ihm das ramponierte Airbike nicht geheuer war. Er verspürte wenig Lust, hoch über den Dächern den Ausfall der Turbine zu erleben. Bemüht, den Linksdrall des Gefährts auszugleichen, wand er sich zwischen Fassaden, Trassenpfeilern, Ampelgestängen, Stromleitungen und Hochbeschilderungen hindurch, den Blick abwechselnd nach vorne, in die Rückspiegel und zum Himmel gerichtet in Erwartung Zhaos. Erst als er Hongkou durchquert und das Bike auf den Fluss hinausgeflogen hatte, begann er zu glauben, den Killer abgeschüttelt zu haben. Falls Zhao ihm überhaupt hatte folgen wollen. Er tauchte ein in die belebten Geschäftsstraßen hinter der Kolonialfassade des Bund, landete westlich des Huaihai-Parks und ließ die Maschine bis zur Xintiandi-Tiefgarage rollen. Das linke Hinterrad klemmte und schleifte vernehmlich über den Asphalt. Kurz überlegte er, wo er sie abstellen sollte, bis ihn die schmerzliche Erkenntnis einholte, was mit seinem Wagen geschehen war.
    Immerhin hatte er jetzt Platz für das Ding.
    Das Schleifen des defekten Rades hallte zänkisch von den Wänden der Zufahrt wider, als er das Airbike auf den für ihn reservierten Platz lenkte. Er versuchte, seine Wut über den Verlust des Wagens hintanzustellen und Yoyos Wohlergehen Priorität einzuräumen. In einer

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