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Limit

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Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Lofts, das er schon wieder würde verlassen müssen, kaum dass er eingezogen war, schlüpfte in frische Kleidung, brachte notdürftig sein Haar in Ordnung. Was nun folgte, war die mehrfach durchexerzierte Flucht des Gesamtkonzepts Owen Jericho, bestehend aus ihm selbst und Diane samt ihrer maschinellen Extremitäten. Er entkoppelte den Festspeicher, eine tragbare Einheit von der Größe eines Schuhkartons, und verstaute ihn samt Tastatur, einer zusammenklappbaren Touchscreen-Oberfläche und einem transparenten 20-Zoll-Display in einem Rucksack. Hinzu packte er seine ID-Card, Geld, sein zweites Handy, eine kleine Festplatte für Backups, Yoyos Computer, Kopfhörer und Tus Holobrille. Er stopfte Unterwäsche und T-Shirts mit hinein, eine zweite Hose, Slipper, Rasierzeug, Stifte und Papier. Was im Loft verblieb, waren Bedienpult und Großbildschirm, etliches an Hardware und diverse eingebaute Speicherplätze, die ohne Diane allesamt nutzlos waren wie Prothesen ohne Träger. Wer immer hier eindrang, würde kein Bit und kein Byte mehr vorfinden, Jerichos Arbeit nicht rekonstruieren können. Die Wohnung war gewissermaßen datenrein.
    Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging er nach draußen.
    In der Tiefgarage packte er den Rucksack auf den Sozius des Airbikes und untersuchte die verzogene Düse. Mit beiden Händen zwang er sie zurück in ihre Arretierung. Das Ergebnis fiel nicht überzeugend aus, wenigstens aber ließ sie sich wieder justieren. Anschließend fummelte er an der Heckflosse herum, lenkte das Bike die Auffahrt hoch und nahm mit grimmiger Befriedigung das Ausbleiben des Schleifgeräuschs zur Kenntnis. Das Kugelrad drehte sich wieder. Er hatte den Wagen gegen ein Airbike eingetauscht, nicht freiwillig, aber immerhin ein Tausch.
    Draußen vergoss die Sonne ihr Licht wie phosphoreszierende Milch. Jericho kniff die Augen zusammen, aber Zhao war nirgendwo zu sehen.
    Wohin jetzt?
    Weit würde er nicht fahren müssen. In einer Stadt wie Shanghai lag das beste Versteck gleich um die Ecke. Anstatt die notorisch überfüllte Huaihai Donglu anzusteuern, gelangte er über weniger stark befahrene Gässchen, die Xintiandi mit den Yu-Gärten verbanden, in die Liuhekou Lu, lange Zeit gerühmt als authentischer Restbestand jenes Shanghai, das die Vorstellung unverbesserlicher Kolonialromantiker beschäftigte. Doch was war schon authentisch im Wandel der Jahrhunderte? Nur, was existiere, lehrte die Partei. Hier hatte eine Markthalle gestanden, gesprenkelt von Blumenständen, widerhallend vom Keckern allerlei Getiers, Hühner, die Köpfe ruckend ihre Frische und Verzehrfertigkeit bekundeten, Grillen, die sich mit zuckenden Beinen an den Wänden von Einmachgläsern abarbeiteten und ihren Besitzern, deren Leben nicht wesentlich anders verlief, Trost spendeten. Vor drei Jahren dann hatte die Halle einem ansehnlichen Shikumen-Komplex weichen müssen, durchsetzt von Bistros, Internet-Cafés, Boutiquen und Galerien. Schräg gegenüber behaupteten sich ein paar letzte Marktstände mit der Trotzigkeit alter Herren, die mitten auf der Fahrbahn stehen bleiben und herannahenden Autos mit dem Stock drohen, bis freundliche Mitbürger sie auf die andere Seite geleiten und der absoluten Zwecklosigkeit ihres Tuns versichern. Noch waren auch sie ein Stück authentisches Shanghai. Morgen würden sie verschwunden sein, um neuer Authentizität Platz zu machen.
    Jericho stellte das Bike im zweiten Untergeschoss der Tiefgarage des Komplexes ab und verzog sich in den hinteren Winkel eines Bistros, wo er Kaffee bestellte. Obwohl kein bisschen hungrig, ließ er sich Käse und Baguette bringen, biss hinein, verteilte Krümel auf T-Shirt und Hose und registrierte einigermaßen befriedigt, dass ihm nicht alles gleich wieder hochkam.
    Wie weit würde Zhao gehen?
    Die vorläufige Bilanz war um einiges bitterer als der Kaffee, den er lustlos herunterstürzte. Kein Auto mehr. Kein Loft, weil vorübergehend unbewohnbar. Im Visier eines Killers, mit dem Rücken zur Wand. Weglaufen indiskutabel. Zum Handeln getrieben, nur dass er sich nicht handlungsfähig fühlte. Kein Weg führte zurück in die Normalität, bis vielleicht auf den der Kognition. Verstehen, worum es in dem ganzen Drama überhaupt ging. Herausfinden, wer Zhao beauftragt hatte.
    Jericho starrte vor sich hin.
    Moment mal! So handlungsunfähig war er gar nicht. Zhao mochte ihn in die Defensive gezwungen haben, aber er besaß etwas, wovon der Killer nichts wusste. Seine Geheimwaffe, den Schlüssel zu

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