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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Fliegers, ein Glücksfall angesichts des knappen Buchungstermins. Allerdings kannten die Leute, die den Flug für ihn gebucht hatten, seine Vorlieben sehr genau. Entsprechend hatten sie es verstanden, das Glück zu biegen. Sie wussten, dass er eher in einer der Flügelspitzen gereist wäre, im Korb einer Montgolfiere, unter einen Zeppelin geschnallt oder in den Klauen des Vogels Roch, als sich mit dem Platz unmittelbar neben der Mitte zu begnügen. Die Mitte war die Mitte und undebattierbar. Je winziger die Abweichung vom Ideal ausfiel, desto weniger ertrug er sie, drängte es ihn, den Makel umgehend zu korrigieren.
    Im Sonnenlicht schaute er auf das Umland Berlins, durchbrochen von Grünflächen, Wasseradern und schimmernden Seen. Dann die Stadt selbst, ein Setzkasten der Epochen. Lange Schatten im frühen Licht. Der Nurflügler beschrieb eine 180-Grad-Kurve, fiel dem Erdboden entgegen, schoss über Wohnblocks, Gärten und Alleen hinweg, ging rasch tiefer. Einen Moment lang, von seiner exponierten Warte aus, schien es, als bohrten sie sich geradewegs in die Rollbahn, dann zog der Pilot die Nase hoch, und kaum spürbar setzten sie auf.
    Unmerklich änderte sich die Stimmung im Flieger. Die Zukunft, während der vergangenen Stunden auf Luft und guten Glauben gebettet, gewann an Verbindlichkeit. Gespräche kamen auf, Zeitschriften und Bücher wurden eilig verstaut, das Flugzeug erreichte seine Halteposition. Torgroße Schleusen öffneten sich, um den Strom der Insassen in die Weite des Flughafens zu verteilen. Der Mann nahm sein Handgepäck und verließ die Maschine als einer der Ersten. Schon jetzt waren seine Daten im hiesigen Flughafensystem gespeichert. Keine zwanzig Minuten nach dem Start in Pudong hatte Air China den deutschen Behörden seine Akte übermittelt, außerdem wurden soeben die Aufnahmen der Bordkameras eingespeist. Als er sich den Kontrollschleusen näherte, wusste der deutsche Computer bereits, was er im Flugzeug gegessen und getrunken, was er gelesen, welche Filme er gesehen, mit welcher Stewardess er geflirtet, welche er angeraunzt und wie oft er die Toilette aufgesucht hatte. Dem System lag ein digitales Porträtfoto vor, Stimmprobe, Fingerabdrücke, Iris, und natürlich kannte es seine erste Aufenthaltsadresse in Berlin, das Hotel Adlon.
    Er legte zuerst sein Handy, dann seine Rechte auf die Fläche des Scanners, sagte seinen Namen und schaute in die Kamera der automatisierten Schleuse, während der Computer seine RFID-Koordinaten auslas. Das System nahm den Abgleich vor, identifizierte ihn und ließ ihn passieren. Gleich hinter der Schleuse reihten sich bemannte Schalter aneinander. Zwei Polizistinnen bugsierten sein Gepäck durch den Röntgenapparat und stellten ihm Fragen über den Zweck seines Aufenthalts. Er antwortete freundlich, aber leicht abwesend, als sei er in Gedanken schon beim nächsten Termin. Sie wollten wissen, ob er das erste Mal in Berlin sei. Er bejahte dies – tatsächlich hatte er die Stadt nie zuvor besucht. Erst als sie ihm sein Handy zurückgaben, ließ er Herzlichkeit in seinen Tonfall einfließen und wünschte den beiden einen schönen Tag, den sie hoffentlich nicht komplett hinter diesem Schalter verbringen müssten. Dabei sah er der Jüngeren der beiden Polizistinnen in die Augen und übermittelte ihr die wortlose Botschaft, dass er nichts dagegen hätte, diesen wunderbaren, sonnigen Berliner Morgen beispielsweise mit ihr zu verbringen.
    Ein kleines, konspiratives Lächeln flatterte ihm zu, das Äußerste dessen, was sie sich erlaubte. Es sagte, du bist ganz ohne Zweifel ein gut aussehender Bursche in einem perfekt geschnittenen Anzug, wir wissen beide sehr genau, was wir wollen, danke für die Blumen, und jetzt scher dich zum Teufel. Ihre Stimme sagte:
    »Willkommen in Berlin, Zhao xiansheng. Genießen Sie Ihren Aufenthalt.«
    Er ging weiter. Es gefiel ihm, dass man hierzulande um die Besonderheiten der korrekten Anrede wusste. Seit Chinesisch an den meisten europäischen Schulen Pflichtfach geworden war, konnte man sicher sein, dass Vor- und Nachname bei traditionellen chinesischen Namen nicht vertauscht und dem Nachnamen die korrekte Anrede für Herr oder Frau angehängt wurde. Am Ausgang erwartete ihn ein bleicher, kahlköpfiger Mann mit Bernhardineraugen und Beutelwangen. Er war groß und kräftig gebaut und trug eine bis zum Hals geschlossene Lederjacke.
    »Failté, Kenny«, sagte er leise.
    »Mickey.« Xin begrüßte ihn mit einem klatschenden Schlag auf die

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