Limit
anders gemeint, aber was er sagte, erinnerte sie an Palsteins sorgenverschleierten Blick vom Vortag. Dass sie lachend ihren Untergang betreibe. Dass sie Probleme bekommen werde, wenn sie weiterhin Steine hochhob, unter denen Kreaturen wie Lars Gudmundsson lauerten. Na und? Hatten sich etwa Woodward und Bernstein von Kriechgetier einschüchtern lassen, als sie Nixon an den Eiern kriegten? Palsteins Sorge ehrte, Susans angeschimmelte Bedenken ärgerten sie. Sollte sie deshalb die Chance in den Wind schlagen, ihr eigenes Watergate aufzuklären?
Gut gemeint nützt nix, dachte sie. Courage ist nicht käuflich. Meine schon gar nicht.
Nach einer Weile sprach sie leise die Fakten der bisherigen Recherche in ihr Handy, ließ die Software das Gesprochene in Schrift umrechnen, hängte Brufords Filmmaterial mit dran und schickte die Datei an ihre beiden E-Mail-Adressen.
Besser war besser.
Die Turbulenzen hörten auf.
Eine Dreiviertelstunde später sank die Maschine den Ausläufern der Coast Mountains entgegen und begann ihren Anflug auf den Vancouver International Airport. Das Wetter war schön. Kleine weiße Wolken strebten landeinwärts, Sonnenlicht glitzerte auf der Strait of Georgia. Der dunkel bewaldete Leib Vancouver Islands beschwor indianische Mythen und den Duft von Lebensbäumen und Douglasien herauf. Mit jedem Meter, den sie tiefer gingen, hob sich Keowas Laune, da sie in den wenigen Tagen eigentlich schon ungeheuer viel herausgefunden hatten. Vielleicht sollten sie sich mit dem zufriedengeben, was sie über Gudmundsson wussten, und stattdessen alle Kräfte darauf verwenden, die Hintergründe der ominösen Konferenz in Peking zu recherchieren. Während die Boeing ausrollte, legte sie sich eine strategisch günstige Vorgehensweise für die anstehende Redaktionskonferenz zurecht, beginnend damit, dass sie erst mal so tun wollte, als sei der Name Palstein nie gefallen. Susan ordentlich einnebeln. Mit Begeisterung Das Erbe der Ungeheuer thematisieren, ihr Treatment rumreichen, beweisen, dass sie ihre Hausausgaben ernst nahm. Dann, mit dem Foto des fetten Asiaten, ihren Royal Flush aufmachen. Na ja, vielleicht nicht gerade einen Royal Flush. Aber es ein Full House zu nennen, was sie auf der Hand hatte, dazu war sie durchaus bereit.
»Hoffe bloß, Sid ist pünktlich«, sagte der Praktikant, als sie den Terminal mit den Holzschnitzereien der First Nations durchschritten. »Er ist eigentlich nie pünktlich.«
»Dann warten wir halt ein paar Minuten«, summte sie heiter.
»Ich hab aber Hunger. Können wir nicht vorher zu McDonald's?«
»Sag deinem Magen –«
»Schon gut.«
Doch Sid Holland, Greenwatchs Redakteur für politische Geschichte, war ausnahmsweise oberpünktlich. Er besaß einen uralten, aufgemotzten Thunderbird in der viersitzigen Cabrio-Version und liebte den Wagen so sehr, dass er freiwillig die halbe Redaktion durchs Geviert beförderte, nur um damit fahren zu können.
»Susan freut sich schon«, sagte er. »Sie hofft, du hast was zum Erbe der Ungeheuer in der Tasche.«
»Gibt's Frühstück?«, fragte der Praktikant.
»Es ist halb zwölf, Mann!«
»Mittagessen?«
Keowa schaute in den azurblauen Himmel, während der Praktikant auf den Rücksitz kletterte, und dachte an den Pulitzerpreis. Sid steuerte den Wagen von der Flughafeninsel über die Arthur-Laing-Brücke und in nordwestliche Richtung durch die Stadtteile Marpole, Kerrisdale und Dunbar-Southlands. Mit dem Ende der Bebauung begann der Pacific Spirit Regional Park. Der Southwest Marine Drive, die vierspurige Zubringerstraße, führte in Küstennähe durch dichte Vegetation dem Gelände der Universität am Point Grey entgegen, weit mehr als ein klassischer Campus, fast schon eine kleine, gemeindefreie Stadt mit einem angrenzenden, schmucken Viertel höchst kanadisch aussehender Häuschen und gepflegter Villen. Dank umtriebig erarbeiteter Quotenmacht konnte Greenwatch es sich leisten, in einer der Villen zu residieren. Studios und Schnittplätze waren dezentralisiert, das Gros der Mitarbeiter über Kanada und Alaska verstreut, sodass am Point Grey nur die Büros der Heeresleitung und einige repräsentative Konferenzräume lagen. Keowas Einfluss war es zu danken, dass sich das gute Gewissen in elegantem Ambiente entfalten konnte.
Es würde noch besser laufen für Greenwatch.
Der Verkehr hielt sich in Grenzen, wenige Autos waren auf dem Marine Drive unterwegs. Zu ihrer Linken teilte sich der Wald und gab den Blick frei auf spiegelndes Meer und
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