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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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den Nachbarschacht sehen konnte. Fünf, vielleicht sechs Meter über ihr hing die glimmende, halb zerstörte Kabine von E2. Die Seitenverschalung fehlte völlig und gewährte Einblick ins Innere, Quell des Brausens, das nun stärker zu hören war. Rötliche Geistererscheinungen huschten über die Decke des brennenden Fahrstuhls hinweg, Schlieren von Ruß sammelten sich weiter oben im Schacht. Wohin sie den Kopf wandte, hatten sich Trümmer verkeilt. Ein bizarr verdrehtes, glühend pulsierendes Stück Metall lag direkt vor ihren Füßen. Sie trat einen Schritt zurück. Soweit erkennbar, hatten die Bremsbacken des Personalfahrstuhls zugepackt und umklammerten die Führungsschienen, doch bei genauerem Hinsehen schienen ihr zwei davon durch Splitter blockiert oder womöglich beschädigt. Die Hitze trieb ihr den Schweiß in dicken Tropfen auf Stirn und Oberlippe.
    Und plötzlich verlor sie den Boden unter den Füßen.
    Ein kollektiver Schrei drang zu ihr nach oben, als die Kabine einen weiteren Meter absackte. Borelius taumelte, fing sich, sah, dass eine der Backen sich geöffnet hatte. Nein, schlimmer, sie war gebrochen! In Panik suchte sie nach einem Ausweg. Gleich vor ihren Augen lag der untere Rand der Türen, die auf die Empore führten. Sie klemmte die Finger zwischen den Spalt, unternahm einen aussichtslosen Versuch, sie zu öffnen, doch natürlich bewegten sie sich keinen Millimeter. Wie auch? Das hier waren keine gewöhnlichen Fahrstuhltüren, sondern hermetisch verschlossene Schotts. Solange das System nicht entschied, sie zu öffnen, oder jemand anderer sie von außen bediente, machte sie sich nur lächerlich und verlor wertvolle Zeit.
    »Eva!«, hörte sie Sushma schluchzen. »Was ist denn?«
    Es fiel ihr schwer, der armen Frau keine Beachtung zu schenken, doch sie konnte sich nicht auch noch um die Befindlichkeiten der anderen kümmern. Fieberhaft suchte sie nach einer Lösung. Die noch intakte Wand wies, wie ihr jetzt auffiel, einen quadratmetergroßen Durchlass zum Schacht von E1 auf. Mehrere Meter darüber erblickte sie einen weiteren Durchlass, zu hoch, um ihn zu erreichen, und im unteren spreizten sich die glühenden und qualmenden Fragmente der weggesprengten Kabinenverkleidung. Borelius registrierte einen unangenehmen Druck auf der Brust und wandte sich zur anderen Seite, um den Schacht von E2 in Augenschein zu nehmen. Der komplette obere Teil der Zwischenwand war verschwunden, ein riesiges, klaffendes Loch, dessen schartiger Rand in Höhe ihrer Stirn lag, sodass sie sich ein Stück daran hochziehen musste, um hinüberzuschauen. Senkrechte Führungsschienen erstreckten sich dort in ungewisse Tiefe. Dazwischen verliefen in Abständen Querstreben, breit genug, um sich an ihnen festzuhalten und die Füße daraufzustellen, und auf der gegenüberliegenden Seite des Schachts sah sie –
    Eine Passage.
    Ein rechteckiges Loch, mündend in einen kurzen, horizontalen Tunnel. Dunkel und geheimnisvoll ruhte er in der Wand, doch Borelius glaubte zu wissen, wohin er führte, und er war groß genug, dass zwei Menschen zugleich hindurchkriechen konnten. Mit etwas Geschick würde man über die provisorischen Laufgänge dort hingelangen.
    Unter ihr ächzte die Kabine in ihren Schienen, Metall schrammte über Metall. Mukesh Nair stemmte sich aus der Luke, hob den Kopf und starrte fassungslos auf das glühende Wrack von E2.
    »Großer Gott! Was ist denn hier –«
    »Alle raus«, sagte Borelius. Sie drängte sich an ihm vorbei und rief nach unten: »Raus, schnell! Aufpassen, hier liegen glühende Trümmer herum.«
    »Was haben Sie vor?«, wollte Nair wissen.
    »Helfen Sie mir.«
    Der Fahrstuhl quietschte, sackte ein winziges Stück ab, während von oben ein Funkenregen auf sie herniederging. Schmerzhaft spürte Borelius die punktgroßen Verbrennungen auf Händen und Oberarmen. Sie hatte für den Abend ein schlichtes, ärmelloses Top ausgesucht, jetzt verfluchte sie sich dafür. In höchster Eile halfen sie Karla, Sushma und der erschreckend hüftsteifen Rebecca Hsu nach draußen, bis alle auf dem Dach versammelt standen.
    »Ausziehen«, sagte Borelius, zerrte ihr Top aus der Hose und streifte es über den Kopf. »T-Shirts, Blusen, Hemden, alles, was ihr euch um die Hände wickeln könnt.«
    Sushmas Kopf ruckte hin und her.
    »Warum denn das?«
    »Weil wir uns die Flossen verbrennen werden, wenn wir sie nicht schützen.« Sie wies mit dem Kopf auf den klaffenden Durchlass. »Da müssen wir drüber. Auf der anderen Seite

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