Limit
pumpe ihr Herz Eiswasser, vermochte keinen klaren Gedanken zu fassen, auch noch nicht, als Tränen über ihre knochigen Wangen zu strömen begannen.
»Eva?« Karla, tief unter ihr. »Eva, bist du da?«
Stumm machte sie sich an den Abstieg. Irgendwohin.
»He!« Heidrun zeigte auf die Monitorwand mit dem Schemagramm der Aufzüge. Durch einen Kanal links von E2 bewegten sich leuchtende Punkte, verschwanden kurzzeitig, erschienen wieder, veränderten ihre Position. »Was ist das?«
»Der Lüftungsschacht!« Lynn strich sich das schweißnasse Haar aus der Stirn. »Sie sind im Lüftungsschacht.«
Inzwischen war der Personalfahrstuhl vom Bildschirm verschwunden. Der Computer meldete ihn als abgestürzt, über E2 lieferte er gar keine Informationen mehr.
»Kommen sie ohne Hilfe da raus?«, fragte Ögi.
»Je nachdem. Wenn das Feuer auf den Lüftungsschacht übergegriffen hat, könnte der Druckabfall die Ausgänge blockieren.«
»Würde es im Lüftungsschacht brennen, wären sie längst tot.«
»Im Schacht von E2 brennt es auch, trotzdem haben sie es hindurch und auf die andere Seite geschafft.« Lynn massierte ihre Schläfen. »Jemand muss in die Lobby, schnell!«
»Ich gehe«, sagte Heidrun.
»Gut. Links von E2 ist eine Wandverkleidung aus Bambus –«
»Kenne ich.«
»Der Kübel sitzt in einer Schiene, schieb ihn einfach zur Seite. Dahinter siehst du ein Schott mit Bedientafel.«
Heidrun nickte und setzte sich in Bewegung.
»Es führt in einen kurzen Gang«, rief Lynn ihr nach. »Sehr kurz, keine zwei Meter lang, dann wieder ein Schott. Von dort –«
»Kommt man in den Lüftungsschacht. Schon kapiert.«
In langen, federnden Sprüngen durcheilte sie die Lobby, unter dem zirkulierenden Modell des Sonnensystems hindurch zu den Fahrstühlen, von denen, wenn überhaupt, nur noch einer zu gebrauchen war, machte sich am Bambustrog zu schaffen, rollte ihn zur Seite, zögerte. Etwas lähmte plötzlich ihre Bewegung. Millimeter über dem Sensor verharrten ihre Fingerspitzen, während ein Heidenbammel ihre Wirbelsäule emporkroch, was hinter dem Schott liegen mochte. Würden ihr Flammen daraus entgegenschlagen? War dies ihr letzter bewusster Moment, würde es ihre letzte Erinnerung an ein Leben in körperlicher Unversehrtheit sein?
Die Angst wich. Entschlossen tippte sie auf das Feld. Das Schott schwang auf, kühle Luft schlug ihr entgegen. Sie betrat den Gang, öffnete das zweite Schott, steckte den Kopf hindurch und schaute nach oben. Eine unwirkliche Perspektive, surreal. Wände, Leiter und Notleuchten strebten einem verhangenen Fluchtpunkt entgegen. Hoch über sich gewahrte sie Menschen auf den Sprossen.
»Hier unten!«, schrie sie. »Hierher!«
Miranda Winter hatte jede Gelassenheit eingebüßt.
»Rebecca?«, schluchzte sie.
In einem Anfall von Distanziertheit dachte O'Keefe, dass sie zu den wenigen Menschen gehörte, die selbst in Tränen aufgelöst noch attraktiv erschienen. Manch gut gestaltete Physiognomie nahm im Zustand quälenden Leids froschartige Züge an, andere sahen aus, als ob sie eigentlich lachen wollten und nicht so recht wüssten, wie. Augenbrauen rutschten unter den Haaransatz, vormals hübsche Nasen schwollen zu nässenden Furunkeln. Jede erdenkliche Deformierung hatte er schon mit ansehen müssen, doch Winters Verzweiflung barg erotischen Reiz, akzentuiert durch ihr streifig verlaufendes, schwarzes Make-up.
Warum gingen ihm solche Dinge durch den Kopf? Er war seiner Gedanken überdrüssig. Alles Ablenkungsmanöver, um ihn am Fühlen zu hindern. Zu welchem Zweck? Weil Trauer Nähe herstellte zu denen, die ebenfalls trauerten, und weil er Nähe mit Misstrauen zu begegnen pflegte? War es denn um so vieles besser, mutterseeelenallein und stockbesoffen aus Madigans Pub auf die Talbot Street zu klatschen, Hauptsache, Distanz gewahrt?
»Also werden wir die Lüftungsschächte benutzen«, resümierte Funaki im Ringen um Gefasstheit.
»Nicht den Westschacht«, sagte Lynns Abbild auf dem Monitor. »Er liegt zu nahe an E2, außerdem melden die Sensoren dort zunehmende Rauchentwicklung. Versucht es auf der anderen Seite, da scheint alles in Ordnung zu sein.«
»Und was –« Funaki schluckte. »Was ist mit den anderen? Geht es ihnen wenigstens –«
Lynn schwieg. Ihr Blick schweifte ab. O'Keefe fand, dass sie furchtbar aussah, nur noch eine Lynn-ähnliche Hülle, aus der etwas anderes herausschaute. Etwas, das er tunlichst nicht näher kennenlernen wollte.
»Es geht ihnen gut«, sagte
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