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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Chambers rollte die Augen, ein bisschen wie eine Voodoo-Priesterin in ritueller Trance, eine Mambo. »Da war der Tod.«
    »Ich weiß.«
    »Nein, ich war drüben, verstehst du? Wirklich drüben. Und da war Momoka, und – ich meine, ich wusste, dass sie tot ist, aber –«
    Zwei Stauseen der Bestürzung und Trauer traten über die Dämme und ergossen sich über Chambers' schönes Latina-Gesicht. Sie gestikulierte, als wolle sie einen Gegenzauber beschwören, ließ entkräftet die Hände sinken und begann zu weinen. Amber legte ihr einen Arm um die Schultern und zog sie sanft an sich.
    »Zu viel«, nickte Na Mou weise.
    »Alles wird gut, Evy.«
    »Ich wollte sie fragen, was uns als Nächstes bevorsteht«, schluchzte Chambers. »Es war so kalt in ihrer Welt. Ich glaube, sie hat mir das angehext, diese immer wiederkehrende Höllenvision, vielleicht hat sie ja was ähnlich Schreckliches gesehen, bevor sie starb, und –«
    »Evy«, sagte Amber leise, aber bestimmt. »Du bist keine Nekromantin. Dir gehen die Nerven durch.«
    »Ich hab sie nicht mal sonderlich gemocht.«
    »Keiner von uns hat sie sonderlich gemocht.« Amber seufzte. »Bis auf Warren, schätze ich.«
    »Aber das ist doch furchtbar!« Chambers krallte sich an ihr fest, von Weinkrämpfen geschüttelt. »Und jetzt ist sie weg, wir konnten ihr nicht mal mehr – nicht noch irgendwas Nettes –«
    Muss man das denn?, dachte Amber. Muss man einem ausgewiesenen Miststück nette Dinge sagen, bloß der Möglichkeit halber, dass es in naher Zukunft den Löffel abgibt?
    »Ich glaube, sie hat das nicht so empfunden«, sagte sie.
    »Meinst du?«
    »Ja, meine ich. Momokas Auffassung von Nettigkeit war etwas anders.«
    Chambers vergrub ihr Gesicht in Ambers Schulter. Die mächtigste Medienfrau der Vereinigten Staaten, Präsidentenmacherin, weinte noch einige Minuten, bis sie darüber vor lauter Erschöpfung einschlief. Na Mou und Zhou Jinping hatten sich in respektvolles Schweigen zurückgezogen. Rogaschow lag auf einem der schmalen Betten, die Beine übereinandergeschlagen, und kritzelte etwas auf ein Stück Papier, das er sich hatte geben lassen.
    »Was machst du da eigentlich?«, fragte Amber müde.
    Der Russe drehte den Stift zwischen den Fingern, ohne sie anzusehen.
    »Ich rechne.«
     
    Jia Keqiang versuchte sich selbst im Ringkampf zu besiegen.
    Aus hinreichender Erfahrung wusste er um die Länge und Steinigkeit offizieller Wege, ebenso wie ihm klar war, dass es in der chinesischen Raumfahrtbehörde haufenweise Paranoiker gab. Andererseits würde ein einziger Anruf genügen, und er wäre jede Verantwortung los. Außer Gefahr, die Fehler zu machen, die zu begehen er verdammt war, wenn er sich persönlich für Orley einsetzte! Er musste lediglich die Last auf einen der berufsmäßigen Bedenkenträger abwälzen, und wenn Orleys Hotel dann tatsächlich zerstört würde, wäre es jedenfalls nicht seine Schuld. Dann hätte sich Peking mit Abkommensverletzung, unterlassener Hilfeleistung und was auch immer auseinanderzusetzen, während er sich auf die Position des verhinderten Helfers zurückziehen und weiterhin gut schlafen könnte, ohne um seine Karriere fürchten zu müssen.
    Falls er dann noch gut schlafen konnte.
    Andererseits – was, wenn Orley recht behielt und Peking tatsächlich die Fäden zog?
    Nachdenklich drehte er den Becher mit grünem Tee zwischen den Fingern. Was würde geschehen? Er würde seine Vorgesetzten anrufen und über Orleys Vermutungen in Kenntnis setzen, brav wie es sich gehörte, nur um sich unvermittelt im Besitz von Staatsgeheimnissen wiederzufinden. Echten Staatsgeheimnissen, die ihn absolut nichts angingen, eben weil ihn niemand eingeweiht hatte. Natürlich würde er sofort als Risikofaktor für die nationale Sicherheit eingestuft werden. Julian Orley mit dem Shuttle zum Gaia zu fliegen, stellte da noch das geringste seiner Probleme dar. Hier oben war Attilas Steppe, im Zweifel hatte es gar keinen Flug gegeben. Den Engländer über einen chinesischen Satelliten kommunizieren zu lassen, bedurfte indes eines ausufernden Genehmigungsverfahrens. Vor der Mondkrise hätte Jia die Entscheidung noch im Alleingang treffen können, doch diese Option war vom Tisch.
    Er musste anrufen.
    Also was würde er denen erzählen?
    Er schob seinen Becher von rechts nach links, von links nach rechts.
    Und plötzlich wusste er es.
    Ein Restrisiko blieb bestehen, aber so konnte es funktionieren. Er stand auf, ging zum Kontrollpult, stellte die Verbindung zur Erde

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