Limit
kommt es, dass –«
»Weil wir die Ohren aufsperren. Suchen Sie Julian Orley?«
»Ja.« Sie nickte heftig. »Ja!«
Julian drängte sich vor den Bildschirm. »Nina! Wo seid ihr?«
»Julian!« Plötzlich hing Tims Gesicht neben ihr. »Endlich! Alles in Ordnung bei euch?«
»Klares Nein.«
»Aber –« Tim zeigte Auflösungserscheinungen.
»Das heißt, Amber geht's gut«, beeilte sich Julian zu versichern. »Was ist mit Lynn? Mit dem Gaia? Tim, was passiert hier?«
»Wir wissen es nicht. Lynn ist – wir leben.«
»Ihr lebt?«
»Das Gaia wurde zerstört.«
Julian starrte auf den Bildschirm, unfähig, Worte zu finden.
»Es gab einen Brand, viele sind tot. Wir mussten evakuieren, schon wegen der Bombe.«
Bombe –
»Nein, Tim.« Er schüttelte den Kopf und ballte die Fäuste.
»Mach dir keine Sorgen, wir sind in Sicherheit. In der Mondbasis. Von dort sind wir losgeflogen. Zwei Suchtrupps sind unterwegs, um –«
»Habt ihr Kontakt zur Basis?«
»Nein, sie ist von der Außenwelt abgeschnitten.«
»Tim –«
»Julian, ich bin im Landeanflug«, sagte Nina. »In einer Stunde werden wir wieder am Pol sein. Dann können wir –«
»Zu spät, das ist zu spät!«, schrie er. »Die Bombe ist nicht im Gaia. Hört ihr? Das Gaia spielt bei alledem überhaupt keine Rolle. Sie lagert am Pol, sie soll die Mondbasis zerstören. Wo ist Lynn, Tim? Wo ist Lynn?«
Tim erstarrte. Seine Lippen formten lautlos zwei Worte:
Am Pol.
»Das kann nicht wahr sein!« Julian rang die Hände, sah sich gehetzt um. »Ihr müsst irgendwie –«
»Julian«, sagte Nina. »Der zweite Suchtrupp ist nach uns gestartet, sie kreisen über dem Mare Imbrium. Sobald wir euch aufgesammelt haben, steigen wir hoch genug auf, um Verbindung zu ihnen herzustellen, und schicken sie umgehend zurück zur Basis. Sie sind näher dran als wir.«
»Beeilt euch! Carl ist auf dem Weg zum Peary. Er will das Ding scharf machen!«
»Wir sind auf dem Weg.«
PEARY-BASIS, NÖRDLICHER POL
Dana Lawrence saß im Halbdunkel der Zentrale in Iglu 1, inhalierte reinen Sauerstoff aus einer Maske und starrte vor sich hin. Schon im Gaia hatte sie genug Sauerstoff geatmet, um der Vergiftung entgegenzuwirken, aber ein paar Atemzüge mehr würden nicht schaden.
»Wollen Sie vielleicht mal schlafen?«, fragte Wachowski mitfühlend. Das Licht der Kontrollen und Bildschirme tauchte sein Gesicht in anämisches Blauweiß. »Ich wecke Sie auf, wenn es was gibt.«
»Danke, aber ich bin fit.«
Tatsächlich verspürte sie keinerlei Müdigkeit. Ihr ganzes Dasein, seit sie sich erinnern konnte, war auf die Vermeidung von Schlaf gerichtet. In der Krankenstation lagen Kramp, Borelius und die Nairs in komatöser Müdigkeit, ruhiggestellt unter Zuhilfenahme von Sedativen und betreut von deLucas, der Allgemeinmedizinerin und Spezialistin für Lebenserhaltungssysteme. Was genau Lynn brauchte, blieb allerdings auch deLucas unklar. Ein junger Geologe namens Jean-Jacques Laurie hatte vorgeschlagen, sie der Weisheit von ISLAND-I anzuvertrauen, des Vorgängermodells von ISLAND-II. Das Psychologieprogramm stellte die denkbar unoriginelle Diagnose eines Schocks, möglicherweise verbunden mit einer Form späten Mutismus, psychosomatisch bedingter Sprachlosigkeit. Seitdem lag Julians Tochter mit offenen Augen in der Dunkelheit oder wanderte umher, eine Gefangene ihrer selbst, ein Zombie. Als Einzige psychisch wie körperlich unversehrt, hatten die Ögis in einem der Wohntürme am Westrand Quartier bezogen. Die Basis war unterbesetzt, die Überlebenden außer Gefecht gesetzt, die Suchtrupps in der irrigen Annahme unterwegs, Hanna werde versuchen, zurück ins Hotel zu gelangen. Sie hatte weiß Gott alles getan, um eine für ihn günstige Situation herbeizuführen, doch Hanna kam nicht. Inzwischen war es vier Uhr durch, und ihr Glaube, dass er jemals erscheinen würde, versiegte. Der Plan sah vor, dass sie die Aktion gemeinsam durchführten, doch in diesem Geschäft kämpfte man Seite an Seite, bis es unumgänglich wurde, den anderen zu opfern. In zwei bis drei Stunden konnten die Trupps zurück sein. Bis dahin musste einer von ihnen gehandelt haben.
Sie erhob sich.
»Ich geh mir die Beine vertreten. Wird helfen, wach zu bleiben.«
»Wir kochen hier auch ganz manierlichen Kaffee«, sagte Wachowski.
»Ich weiß. Ich hatte schon vier Becher davon.«
»Ich mach frischen.«
»Mir reicht die Kontaminierung meines Stoffwechsels mit Rauch, ich brauche nicht auch noch eine Koffeinvergiftung.
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