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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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etwas Sakrales angenommen. Eine Gitarre wurde gereicht. Das Licht war während Julians Vortrag weiter gedämpft worden. Der Pazifik schimmerte wie poliert. Durch die ovalen Seitenfenster leuchtete verstreuter Zucker auf schwarzem Grund.
    Später dachte O'Keefe, dass er in jenen Sekunden, als David Bowie die einleitenden Akkorde von Space Oddity anschlug – Fmaj7 und Em im Wechsel, erst zart und verhalten, dann machtvoll anschwellend, als nähere man sich dem geschäftigen Treiben rund um die Startrampe aus der unbeteiligten Stille des Weltraums bis zum Moment, da die Bodenkontrolle und Major Tom in ihren denkwürdigen Dialog traten –, den womöglich letzten, wenn nicht sogar einzig wirklich harmonischen Augenblick ihrer Reise erlebte. In naiver Beglücktheit vergaß er, worum es bei Orleys Unterfangen eigentlich ging: Menschen aus dem Erdkreis in eine lebensfeindliche Umwelt zu katapultieren, auf einen Trabanten, der seine Besucher zwar spiritualisiert hatte, jedoch ohne dass einer von ihnen dorthin hatte zurückkehren wollen. Deutlich fühlte er, dass jedwede Sinnsuche, indem er die Erde verließ, nur darin gipfeln würde, dass er sich alle Augenblicke nach ihr umsah, und plötzlich erschien ihm die Vorstellung, sich so weit von ihr zu entfernen, dass sie vollends außer Sicht geriet, trostlos und Angst einflößend.
    And the stars look very different today –
    Und als die Ballade von Tom schließlich endete und der unglückselige Major im Nichts seiner übersteigerten Erwartungen verloren gegangen war, empfand er statt der erhofften Verzauberung eine eigenartige Ernüchterung, beinahe so etwas wie Heimweh, obwohl sie doch nur 36.000 Kilometer von zu Hause weg waren. Der rechte Rand des Planeten hatte begonnen, sich zu verdunkeln, China lag im Abenddämmer. Er sah Heidrun mit halb geöffneten Lippen den Moment inhalieren, ihre Blicke abwechselnd auf Bowie gerichtet und auf das Sternenmeer jenseits der Seitenfenster, während die seinen wie magisch hinabgezogen wurden, und er begriff, dass die Schweizerin längst in sich angekommen war, dass sie mit Begeisterung zum Rand des Universums reisen würde, da sie ihre Heimat in sich und folglich mit sich trug, dass sie ganz sicher einen weit höheren Freiheitsgrad erreicht hatte als er, und er wünschte sich ins Obergeschoss eines Dubliner Pubs, wo ihn auf einer zerschlissenen Matratze jemand in die Arme schloss.
     
    In dieser Nacht hatten ziemlich viele Leute dieselbe Idee.
    Vielleicht lag es an Ambers Art, ihn zu trösten, nachdem er sich bei ihr über Julians Ignoranz ausgeheult hatte, dass ihr Zuspruch auch den physischen Tim erquickte, ihre Küsse, die Spannkraft ihrer Umarmung, ihre federnde, im Sportstudio kultivierte Elastizität; vielleicht, weil seine Fantasien nach so vielen Jahren ehelichen Alltags immer noch ausschließlich um seine Frau kreisten, sodass er keinen anderen Hintern liebkosen und seine Hand in kein anderes Delta gleiten lassen wollte als das ihre, was ihn für Seitensprünge in etwa so sehr qualifizierte wie eine Dampflok zum Verlassen der Gleise, und weil er sich auch in den einsamen Momenten der Selbstbespaßung niemand anderen vorstellen mochte als Amber; vielleicht, weil der goldene Schnitt ihrer Erscheinung durch kein hinzugekommenes Jahr ins Unvorteilhafte gesetzt worden war – ein Hoch auf die Gene! – und ihre Brüste im Auftrieb der Schwerelosigkeit zu jenem legendenträchtigen Stand zurückfanden, der ihn zu Anfang ihrer Beziehung glauben gemacht hatte, reife Melonen zu umklammern: vielleicht auch, weil er beim Versuch, die Verschlüsse ihres Bademantels auseinanderzufummeln, in die entgegengesetzte Ecke des Moduls getragen wurde, was ihn nur umso mehr erregte, da sie lachend in den Schwingen des geöffneten Mantels hing wie ein zum Sündenfall bereiter Engel – was immer der Grund sein mochte, jedenfalls reagierte sein Körper allen Widrigkeiten der Schwerelosigkeit zum Trotz, als da waren Blutunterversorgung des Lendenbereichs, Desorientierung und leichte Übelkeit, mit einer wahren Mondrakete von Ständer.
    Er paddelte zu ihr hinüber und umklammerte ihre Oberarme. Sie vollständig aus dem Bademantel zu pellen war eines, Ambers Versuche, ihn seiner Hose und seines T-Shirts zu entledigen, scheiterten am schon bekannten Abstoßungseffekt. Immer wieder drifteten sie auseinander, bis er endlich nackt über dem Bett zappelte, hilflos der Decke zustrebend. Sie nahm seine galaktische Erektion mit sichtlichem Interesse in

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