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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Andere spielen Musik, die kein Mensch hören will, außer ein paar Verrückten vielleicht, aber sie sind unbeirrbar in dem, was sie tun, sie brennen dafür. Manche Leute können sich kaum den Fusel leisten, der sie am Schreiben hält, aber wenn du zufällig was von ihnen im Netz findest und runterlädst, bist du eigenartig berührt, wie sich da Menschlichkeit mit Unverkäuflichkeit paart, und dir wird klar, dass große Gefühle immer im Kleinen, Intimen, Desperaten keimen. Sobald ein Orchester dazukommt, wird es Pathos. So betrachtet, kann es die schönste Frau nicht mit der erbärmlichsten Nutte aufnehmen. Kein Luxus gibt dir so sehr das Gefühl, am Leben zu sein, wie ein Kater, nachdem du mit den richtigen Typen zu viel gebechert hast, oder das Betasten deines Nasenbeins, wenn es die falschen waren. Ich wohne in den besten Hotels der Welt, aber ein nach Schimmel riechendes Hinterzimmer in einem dieser Viertel, die kein anständiger Mensch freiwillig betritt, mit jemandem darin, der einen Traum hat, berührt mich nun mal mehr als der Flug zum Mond.«
    Heidrun dachte darüber nach.
    »Schön, wenn man sich die Romantisierung der Armut leisten kann«, konstatierte sie.
    »Ich weiß, was du meinst. Das tue ich nicht. Ich komme nicht aus kleinen Verhältnissen. Ich hab keine Botschaft, keinen sozialen Zorn, ich sitze auf keinem politischen Leitstrahl. Vielleicht herrscht da ein Mangel an Engagiertheit, aber es kommt mir nicht wirklich so vor. Wenn wir Perry Rhodan drehen, haben wir Spaß, keine Frage. Ich bin der Letzte, der am Zahltag Nein sagt. Ich hab inzwischen sogar Spaß daran, ein netter Kerl zu sein, ein reicher netter Kerl, der umsonst zum Mond fliegen darf. Ich registriere all das und denke, sieh mal an, der kleine Finn. – Dann treffe ich Frauen, die mit mir zusammen sein wollen, weil sie finden, ich sei Teil ihres Lebens. Was ja auch irgendwie zutrifft. Ich begleite sie durch dieses kleine oder meinethalben tolle Leben, immerzu bin ich bei ihnen, im Kino, in Zeitschriften, im Internet, auf Bildern. Nachts, wenn sie wach liegen, vertrauen sie mir ihre Geheimnisse an. In ihren Lebenskrisen sind meine Filme für sie wichtig. Sie lesen Interviews mit mir und denken bei jedem zweiten Satz, wow, der versteht mich! Der weiß genau, wie's mir geht! Wenn sie mir dann begegnen, sind sie überzeugt, einen Bekannten, einen Freund vor sich zu haben, einen Gleichgesinnten. Sie glauben, mich zu kennen, aber ich kenne sie nicht. Ich bedeute ihnen alles, sie mir nicht das Geringste. Ich war nicht dabei, als sie ihren ersten Orgasmus hatten, bloß weil mein Poster an ihrer Wand hing und sie vielleicht an mich dachten. Sie sind nicht Teil meines Lebens. Es gibt nichts, was uns verbindet.« Er machte eine Pause. »Und jetzt sag mir, wie war das, als Walo dir über den Weg lief? Was hast du gedacht? Oh Mann, interessant, jemand Neues? Wer ist das, lass es mich rausfinden?«
    »Ja. So ungefähr.«
    »Und er dachte dasselbe. Siehst du. Die Gnade des ersten Eindrucks. Ich hingegen treffe Unbekannte, die im Wahn leben, meine Bekannten zu sein. Um mich völlig aus diesem Leben zu verabschieden, müsste ich aufhören, daran teilzunehmen, aber dafür macht es wiederum zu viel Spaß. Also tanze und johle ich mit und halte Distanz.«
    »So ist das mit dem Ruhm«, sagte Heidrun. Diesmal klang es nicht spöttisch, eher, als wundere sie die Aufzählung so vieler Banalitäten, aber genau das war es. Banal. Aufs Ganze gesehen gab es überhaupt nichts Banaleres als Ruhm.
    »Ja«, sagte er. »So ist das.«
    »Also fällt uns nichts Originelleres ein als das, was die Ärztin gerade gesagt hat. Jeder sucht in der Fremde sich selber.«
    Er zögerte. Dann lächelte er sein berühmtes, scheues Lächeln.
    »Vielleicht, dass man Seelenverwandte findet.«
    Heidruns violette Augen ruhten in seinen, doch die Antwort blieb sie schuldig. Sie schauten einander an, eingewoben in eine seltsame, kokonartige Stimmung, die O'Keefe gleichermaßen erregte wie beunruhigte, und er spürte einen Anflug von Befangenheit. Wie es aussah, war er drauf und dran, sich in kumulierten Melaninmangel zu verknallen.
    Beinahe erleichtert schreckte er hoch, als Julian in die Hände klatschte.
    »Liebe Freunde, ich hatte es nicht zu hoffen gewagt.«
    Stille kehrte ein.
    »Und ich schwöre, ich habe ihn nicht darum gebeten. Lediglich Anweisung gegeben, eine Gitarre bereitzuhalten, für den Fall! Und jetzt hat er sogar seine eigene mitgebracht.«
    Julian lächelte in die Runde.

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