Limonow (German Edition)
öffnet, der hier wohnt und es mag, wenn jemand unangekündigt vorbeischaut, weil er immer ein offenes Haus hat. Im Stimmengewirr der Diskussionen muss er nicht mehr laut werden; man hört ihm zu, wenn er spricht, denn er ist der chosjain , das heißt der Herr des Hauses, aber mit einer Nuance von feudaler Autorität, denn man kann der chosjain einer ganzen Stadt sein, Stalin war jener der gesamten Sowjetunion. Natürlich wäre es besser, wenn Anna hübscher wäre und er sie mehr begehren würde, doch in dieser gleichzeitig stürmischen und herzlichen Partnerschaft, die sich zwischen ihnen entwickelt und die sieben Jahre dauern wird, kommt jeder auf seine Rechnung: Er, indem er sie festigt; sie, indem sie ihm Schliff beibringt.
Er liest ihr seine Gedichte vor, sie findet sie gut und zeigt sie Motritsch, der sie auch gut findet. Sehr gut sogar. So ermutigt, hält Eduard eine Lesung in der Buchhandlung und stellt aus der Auswahl von Gedichten eine Sammlung zusammen, von der er selbst zehn handschriftliche Kopien anfertigt. Er ist noch nicht soweit, dass andere sie weiterkopieren, das wäre die zweite Sprosse auf der Leiter der Dissidentenehre – die dritte ist das, was man nicht mehr Samisdat , sondern Tamisdat nennt: drüben veröffentlicht, im Westen, so wie Doktor Schiwago . Seine kleine Sammlung, die nur im unmittelbaren Umkreis des 41 zirkuliert, reicht jedoch, um als Dichter anerkannt zu werden, in der ganzen Bedeutung dieses Status.
Es ist ein beneidenswerter Status, denn selbst wenn man ein armseliges Leben führt, schützt er vor der Schande, die sonst einem armseligen Leben anhaftet, und viele, die ihn einmal erworben haben, erfreuen sich daran bis ans Ende ihrer Tage, auch wenn sie nicht mehr schreiben. Nicht so Eduard, der weder faul ist, noch sich leicht zufrieden gibt, und der entdeckt hat, dass man garantiert Fortschritte macht, wenn man jeden Tag ein bisschen arbeitet, aber wirklich jeden Tag – eine Disziplin, der er treu bleibt. Ebenso hat er entdeckt, dass es in einem Gedicht nicht der Mühe wert ist, von einem »blauen Himmel« zu sprechen, denn jedermann weiß, dass er blau ist, aber dass Entdeckungen in Richtung »blau wie eine Orange«, weil sie überall schon zu finden waren, fast noch schlimmer sind. Um zu überraschen, und das ist sein Ziel, setzt er mehr auf Nüchternheit als auf Geziertheit: Er verwendet keine seltsamen Wörter und Metaphern, sondern nennt eine Katze eine Katze, und wenn er von Leuten spricht, die er kennt, gibt er ihre Namen und Adressen preis. So schafft er sich einen Stil, der seinem Urteil nach keinen großen, aber zumindest einen identifizierbaren Dichter aus ihm macht.
Um voll und ganz dieser Dichter zu sein, fehlt ihm nur noch ein Name, irgendetwas, das besser klingt als sein trauriger Nachname eines ukrainischen Bauerntrampels. Eines Abends spielt die kleine Bande, die bei Anna versammelt ist, Namenerfinden. Lionja Iwanow wird zu Odejalow, Sascha Melechow zu Buchankin und Eduard Sawenko zu Ed Limonow – eine Hommage an seinen beißenden und aggressiven Humor, denn limon bedeutet Zitrone und limonka Handgranate. Die anderen werden ihre Pseudonyme wieder aufgeben, er dagegen behält das seine. Es gefällt ihm, selbst seinen Namen niemand anderem zu verdanken als sich selbst.
8
Ich muss jetzt auf die Hosen zu sprechen kommen. Alles beginnt damit, dass ein Besucher auf seine Jeans mit Schlag aufmerksam wird und, da sich derlei im Handel nicht finden lässt, nachfragt, wer sie ihm gemacht habe. »Ich«, rühmt sich Eduard dummerweise, denn tatsächlich hat er sie von einem freiberuflichen Schneider nähen lassen, der Kadik in den Zeiten seines Dandytums belieferte. »Könntest du mir auch so eine machen, wenn ich den Stoff besorge?« »Klar«, antwortet er und rechnet sich aus, den Stoff zum Schneider zu tragen und auf diesem Weg eine kleine Kommission einzustreichen.
Leider gibt es an dem Tag, als er ihn aufsucht, keinen Schneider mehr: Er ist abgehauen oder verschwunden, ohne eine Adresse zu hinterlassen. Wenn Eduard schon einmal lügt, dann zu seinem Glück. Denn da es ausgeschlossen ist, sein Gesicht zu verlieren, sieht er nur eine Lösung: sich mit seiner eigenen Hose als Vorlage, Nadel, Faden und Schere in sein Zimmer einzuschließen und seine Exerzitien nicht eher zu beenden, bis etwas entstanden ist, was einer Jeans mit Schlag ähnelt. Eine Hose zu schneidern ist keine einfache Angelegenheit, aber sein Vater hat ihm ein wahres Talent für alle Arten
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