Limonow (German Edition)
der Widerstand ging leer aus, Jean-Edern kehrte mit leeren Händen zurück, und niemand erfuhr jemals, wohin sich das Geld verflüchtigt hatte. Er hatte sich in der Rolle des großen Schriftstellers versucht und einen angemessenen Platz irgendwo zwischen seinem Freund Philippe Sollers, mit dem er zuvor schon Tel Quel gegründet hatte, und dem jüngeren Bernard-Henri Lévy gesucht, den er um sein gutes Aussehen und den frühen Erfolg beneidete. Auch er hätte gut aussehen können, er war reich, hatte einen Ferrari und ein Appartement an der Place des Vosges, aber es gab einen bitteren, selbstzerstörerischen Clown in ihm, der das Werk der guten Feen an seiner Wiege sabotierte. Er verehrte Einsiedler wie Julien Gracq, der sein Lehrer gewesen war, aber riskierte Kopf und Kragen, nur um ins Fernsehen zu kommen. Alle, die ihn kannten oder sogar liebten, erinnern sich – im Wechselspiel mit Anfällen von großherziger Zuneigung – an Momente, in denen sich der Abgrund seiner missgünstigen Seele auftat, und es war, als würde man sich im Umgang mit ihm beschmutzen. Auch von ihm hätte Brodsky sagen können, er erinnere weniger an Dostojewski als an seinen grässlichen Helden Swidrigailow. Aber Jean-Edern war ein draufgängerischer Swidrigailow, der Herzen, Pleiten und Skandale hinter sich her zog, und Mitterrand, der so viel auf seine Belesenheit und sein literarisches Urteil hielt, zögerte nicht, ihn als großen Schriftsteller zu bezeichnen. So wandte Jean-Edern all seine Energie auf, um Mitterrand 1981 in der Hoffnung auf eine Belohnung – ein Ministeramt, einen Fernsehsender – zu unterstützen, aber sie traf nicht ein. Von einem Tag auf den anderen verwandelte er sich in den Erzfeind des neugewählten Präsidenten und kolportierte Klatsch und Tratsch über ihn: über seine Kollaborateursfreunde, seinen Krebs, seine leibliche Tochter – heute wird gern behauptet, all dies seien offene Geheimnisse gewesen, aber das überzeugt mich nicht, ich jedenfalls wusste nichts davon. Später erfuhr man, dass die Antiterrorzelle im Élysée-Palast einen großen Teil ihrer Aktivitäten dafür verwandt hatte, die Gespräche von Jean-Edern Hallier als auch denjenigen, die mit ihm in Verbindung standen, abzuhören und sogar sämtliche Anrufe, die von der Telefonkabine seines Stammcafés La Closerie des Lilas aus geführt wurden. Er ließ ein Pamphlet in Paris zirkulieren, das erst den Titel Tonton und Mazarine trug, dann Die verlorene Ehre des François Mitterrand . Niemand wagte es zu veröffentlichen. Er brauchte also eine Zeitung. Ebendiese wurde der zweite Idiot , und er scharte eine Bande von brillanten und streitlustigen Autoren um die Vorgabe, alles zu schreiben, was ihnen durch den Kopf gehe, vorausgesetzt, es sei skandalträchtig. Beleidigungen waren willkommen und Diffamierungen empfohlen. Wenn es zu Prozessen kam, übernahm der Chef die Verantwortung. Man machte sich über alle Günstlinge des Prinzen her – Roland Dumas, Georges Kiejman, Françoise Giroud, Bernard Tapie –, über die Honoratioren der satten Linken und über alles, was man bald »politisch korrekt« nannte und was zur dominierenden Ideologie von Mitterrands zweiter Amtszeit wurde: SOS Rassismus, die Menschenrechte, die Fête de la Musique … Der große Verächter all dessen, Philippe Muray, bewahrte sich bis zum Ende seines Lebens den Stolz, »intellektuellen Lakaien«, wie er Pierre Bourdieu, Jacques Derrida oder den Chefdenunzian ten Didier Daeninckx nannte, ganze Petitionen und Überwa chungsausschüsse wert gewesen zu sein, in denen sie ihn verurteilten. Die oberste Tugend des Idiot , laut diesem Herold des Negativen, war es, seine Feinde in die Schranken des Guten gewiesen zu haben. Man war gegen jeden, der für etwas war, und für jeden, der gegen etwas war, und hatte nur ein einziges Credo: Wir sind Schriftsteller und nicht Journalisten; unsere Meinungen, von den Fakten ganz zu schweigen, zählen weniger als unser Talent, sie zu formulieren. Stil gegen Inhalt: eine alte Litanei, die auf Barrès und Céline zurückgeht und ihren idealen Vorsänger in Marc-Édouard Nabe fand, diesen Cheffiesling des Idiot , der fähig war, Schlagzeilen wie »Der Abbé Pierre ist ein Stück Scheiße« zu fordern und auch zu bekommen. – Doch es gibt immer andere, die noch lasterhafter sind als man selbst, und so nahm es Nabe, der einmal einen besonders brutalen Artikel über Serge Gainsbourg verfasst hatte, Hallier sehr krumm, als dieser denselben am Tag
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