Lincolns Träume
Kate in der Bibliothek an und schau, ob du eine Bibliographie darüber bekommen kannst. Und versuch herauszufinden, wo Willie Lincoln begraben wurde. Lincoln träumte von Willie, als er gestorben war. Ich muß jetzt endlich wissen, womit ich mit dieser Traumgeschichte dran bin.«
Ich sah mir die Bücher an, die auf den Regalen unter den afrikanischen Veilchen durcheinanderlagen. Broun mußte sie noch einmal zur Hand genommen haben, nachdem er sie geordnet hatte. Obenauf lag eine Biographie von Lincoln. Ich rettete einen Band Freeman aus dem Durcheinander, dann legte ich sie wieder zurück.
Ich fragte mich, was Annie wohl gerade tat. Ich hoffte, sie hatte ihre nassen Sachen ausgezogen und ein heißes Bad genommen, etwas gegessen und sich ins Bett gelegt, doch ich sah sie im Geiste am Fenster stehen wie ich und in den Schnee hinausschauen, immer noch in ihrem grauen Mantel, von dem es auf den Teppich tropfte wie bei mir, und wie sie zu zittern begann.
Ich hob die Lincoln-Biographie auf und ging hinauf ins Arbeitszimmer, um sie wegzustellen. Das Telefon klingelte.
»Ich möchte, daß du Annie in Ruhe läßt«, sagte Richard.
»Bittest du mich als ihr Arzt darum oder als ihr Liebhaber?«
»Ich bitte dich um überhaupt nichts. Ich sage es dir. Laß sie in Ruhe. Du hättest sie nicht nach Arlington rausbringen sollen.«
»Sie hat mich darum gebeten«, sagte ich. »Sie meinte, sie hätte dich darum gebeten, und du hättest dich geweigert. Du hast deine Chance also gehabt, denke ich.«
»Annie ist emotional instabil. Durch diese Fahrt hättest du bei ihr einen psychotischen Rückfall auslösen können.«
»Wie bei diesem verrückten Lincoln?« sagte ich. »Du hast Broun erzählt, der gute alte Abe steuerte auf einen psychotischen Zusammenbruch zu, weil er unter anderem von seiner eigenen Ermordung geträumt hat. Willst du mir einreden, daß jemand, der vom Bürgerkrieg träumt, verrückt ist?«
»Sie träumt nicht vom Bürgerkrieg.«
»Und wo, zum Teufel, kommen dann die Unionssoldaten her?«
»Das hast du getan, oder etwa nicht? Während ich oben war und mit Broun sprach, hast du ihr diesen Unsinn über Unionssoldaten erzählt, die auf dem Rasen draußen bei Arlington begraben wurden, und hast damit ihre neurotischen Phantasien angestachelt. Du hast ihr gesagt, Robert E. Lee hätte eine Katze gehabt, nicht wahr?«
»Er hatte nun mal eine Katze.«
»Und sobald du Annie das gesagt hattest, sagte sie dir, die Katze in ihrem Traum habe genau wie Robert E. Lees Katze ausgesehen, ja?«
Ich gab keine Antwort. Ich dachte an Annie, wie sie das afrikanische Veilchen zerzupft und gesagt hatte: »Hatte Robert E. Lee eine Katze? Eine gelbe Katze? Mit dunkleren Streifen?«
»Wenn der Träumer einen seiner Träume wieder durchlebt, ist er extrem beeinflußbar«, sagte Richard. »Alles, was dem Träumer dann erzählt wird, kann seine Erinnerung an den Traum beeinflussen. Man nennt das sekundäre Bearbeitung.«
»So wie wenn man ihr erzählt, sie hätte mit einem Schreckschußrevolver auf jemanden geschossen?« sagte ich. »Das Springfield-Gewehr hatte Zündkapseln, wußtest du das? Es sah genau so aus wie eine Zündplättchenpistole für Kinder. Die Springfield wurde im Bürgerkrieg benutzt.«
»Hast du ihr das gesagt?« sagte er in einem beinahe ängstlichen Ton. »Das hättest du ihr nicht sagen sollen. Du mischst dich in die Therapie ein. Als ihr Psychiater betrachte ich es als meine Pflicht…«
»Was? Dich an deine Patienten heranzumachen?«
»Ich wollte mich nicht an sie heranmachen, verdammt noch mal! Es ist einfach passiert. Ich habe versucht, ihr zu helfen. Sie hatte Angst davor, diese Nacht allein zu bleiben. Es ist einfach passiert. Verdammt, du hast sie doch gesehen.«
Ich hatte sie im Wintergarten stehen sehen und sie sagen hören: »Du wirst mir auch nicht glauben.« Ich hätte sie trotz des Schnees auf der Stelle nach Arlington hinausgefahren, wenn sie mich darum gebeten hätte. Ich hätte die verschlossenen Türen aufgebrochen und hätte ihr mit einer Axt den Weg zum Dachstuhl freigemacht, um nach Lees verschwundener Katze zu suchen. Und nicht ihre Angst und Hilflosigkeit ausgenutzt.
»Du hast ihr also erzählt, sie wäre verrückt, und dann hast du dich über sie hergemacht?« sagte ich. »Verstehst du das unter Hilfe?«
»Laß sie in Ruhe! Du mischst dich in meine Therapie ein.«
»Meinst du damit, deine Patienten nach Hause mitzunehmen und sie zu ficken, wenn sie zu verängstigt und zu müde sind,
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