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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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um nein zu sagen? Welche Therapien haben Sie noch auf Lager, Herr Doktor? Hast du schon daran gedacht, sie unter Drogen zu setzen, damit sie besser mitmacht?«
    Er ließ sich so viel Zeit mit seiner Antwort, daß sich sogar Brouns geduldiger Anrufbeantworter abgeschaltet hätte. Ich wartete.
    »Weißt du, was wirklich komisch ist«, sagte er bitter, »ich habe dich letzte Woche anzurufen versucht, aber du warst nicht da.« Und er legte auf.
    Ich sah noch länger in den Schnee hinaus und rief dann in der Klinik an, um herauszufinden, ob Richard mich von dort aus angerufen hatte. »Es tut mir leid«, sagte seine Sekretärin. »Er ist im Moment nicht da. Kann ich ihm etwas ausrichten?«
    »Kommt er heute überhaupt noch?«
    »Nun…«, sagte sie, als schaute sie in einem Terminkalender nach. »Er hat eine dienstliche Besprechung um vier, aber die wird wegen des Wetters vielleicht abgesagt.«
    Ich wartete nicht so lange, bis sie nach meinem Namen fragte. »Danke. Ich bin ein Freund von ihm, von außerhalb, und ich muß in ungefähr fünf Minuten ein Flugzeug erwischen. Ich dachte, ich rufe ihn einfach einmal an, wenn ich schon in Washington bin.«
    Das Telefon klingelte, sobald ich den Knopf gedrückt hatte. Mir kam die verrückte Idee, Richard könnte das Gespräch mitgehört haben und mir wieder drohen, doch es war Broun.
    »Mir fehlen hier noch die letzten beiden Seiten dieser verdammten Szene«, sagte er. »Vielleicht liegen sie auf meinem Schreibtisch. Kannst du mal nachsehen?«
    Ich durchwühlte den Papierstapel auf seinem Schreibtisch. Er hatte sie in Randalls Präsident Lincoln gesteckt. »Sie sind hier«, sagte ich. »Wollen Sie, daß ich sie per Express schicke?«
    »Dafür ist keine Zeit mehr. Das Buch steht kurz vor dem Andruck. Wenn diese Änderungen nicht jetzt sofort reinkommen, dann kommen sie überhaupt nicht mehr rein. Du mußt es über Telefon vorlesen. McLaws und Herndon sind darauf vorbereitet, deinen Anruf unter dieser Nummer aufzuzeichnen.« Er gab mir die Nummer.
    »Werden Sie versuchen, heute abend nach Hause zu kommen?«
    »Nein. Das ist ein richtiger Blizzard hier«, sagte er, und dann schien ihm etwas an meiner Stimme aufzufallen. »Geht es dir gut?«
    Nein, dachte ich. Ich hatte mit meinem alten Stubenkameraden eben ein Gespräch, das ich nie für möglich gehalten hätte, über ein Mädchen, das ich kaum kenne, und ich möchte, daß Sie zurückkommen und mir sagen, daß sie nicht verrückt ist. »Mir geht’s gut«, sagte ich. »Ich war nur ein bißchen in Gedanken.«
    Er klang immer noch besorgt. »Du hast meine Nachricht heute morgen bekommen, oder? Du bist doch in diesem Hundewetter nicht nach Arlington gefahren?«
    »Nein«, sagte ich. »Das Wetter ist hier auch furchtbar.«
    »Gut«, sagte er. »Bitte paß auf dich auf. Ich finde, du hast kränklich ausgesehen gestern abend.« Er machte eine Pause, und ich hörte Stimmen im Hintergrund. »Hör mal, sie werden allmählich ungeduldig, daß das mit dieser Szene endlich in Ordnung kommt. Ruh dich ein bißchen aus, mein Sohn, und mach dir keine Sorgen, bis ich zurück bin.«
    »Ich gebe es gleich durch«, sagte ich.
    Ich legte auf und wünschte augenblicklich, ich hätte es nicht getan. Was würde Broun sagen, wenn ich zurückriefe und ihm sagte, daß ich doch nach Arlington rausgefahren war, mit einem Mädchen, das von der Schlacht bei Antietam und Lees verlorener Katze geträumt hatte?
    »Es gibt dafür eine logische Erklärung«, würde er sagen, und das hatte ich mir schon selbst gesagt – das und eine Menge andere Dinge. Ich war am Abend zuvor jedes einzelne Argument durchgegangen, das ich finden konnte, eins nach dem andern, so wie ich Brouns Bücher nach Tom Tita durchsucht hatte.
    Es waren einfach nur Träume. Sie war krank. Sie war verrückt. Es war ein wohldurchdachter Trick, um in Brouns Nähe zu gelangen. Es gab für ihre Träume eine logische Erklärung. Sie hatte irgendwo von der Katze gelesen. Sie war als Kind in Arlington gewesen. Es war alles nur ein Scherz. Richard hatte sie daraufgebracht. Es war eine bescheuerte Art von Bridey-Murphy-Phänomen. Es handelte sich um eine zufällige Koinzidenz. Viele Leute träumten von gelben Tigerkatzen. Es waren einfach nur Träume.
    Es kam nicht in Frage, Broun noch einmal anzurufen. Er hätte dieser Liste keine neuen Argumente hinzufügen können. Schlimmer noch, er könnte darauf verzichtet haben, mich davon zu überzeugen, daß es eine logische Erklärung gab. So fasziniert, wie er

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