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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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durch sein Teleskop über die Kirche hinaus nach Süden schaute. Ich wollte ihm das Fernrohr schon wegnehmen, aber gerade in dem Moment sah ich, was er beobachtete. Es war eine langgezogene Linie von Unionssoldaten, die sich von Süden her näherten. ›Wessen Truppen sind das?‹ fragte ich, und Richard reichte mir das Teleskop, aber meine Hände waren bandagiert, und ich konnte es nicht halten, deshalb ließ ich ihn weiter gucken, und er sagte: ›Es sind Föderierte‹, und ich sagte: ›Nein. Es ist Hill‹, und in diesem Moment kam der Mann, der auf dem Pferd gesessen hatte, das auf seinen Knien gelegen hatte, auf einem anderen Pferd heraufgeritten, bloß trug er inzwischen ein rotes Wollhemd, und ich war so froh, ihn zu sehen, denn es bedeutete, daß er, auch wenn wir sie nicht finden konnten, die Botschaft dennoch bekommen hatte.«
    Ich sagte nichts. Ich fuhr mit meinen Händen über den Rand des Steuers und überlegte, wie ich sie heimbringen konnte, ehe der Schnee schlimmer wurde und wir beide hier oben festsaßen.
    »Vielleicht hat Richard recht«, sagte sie, »und was auch immer in der verschwundenen Botschaft steht, ist das, was immer es sein mag, woran ich mich nicht erinnern kann.«
    »Was ist mit den Bandagen an deinen Händen? Was ist mit den konföderierten Soldaten in blauen Uniformen? Und der Zahl hundertundeinundneunzig? Was soll das alles bedeuten?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie leichthin und zog ihre Handschuhe wieder an. »Richard wird mir das sagen müssen. Er ist der Psychiater.«
    »Brouns neues Buch handelt von Antietam«, sagte ich. »Ich habe die letzten sechs Monate damit verbracht, alles Gedruckte über die Schlacht zu durchstöbern.«
    »Und du weißt, warum meine Hände bandagiert waren?«
    »Lee brach sich die rechte Hand und verstauchte sich unmittelbar vor dem Marsch nach Maryland die linke. Bei Antietam trug er die Schienen und die Verbände immer noch. Lee hatte eine dringende Nachricht an A. P. Hill in Harper’s Ferry geschickt, in der er ihm befahl, er solle seine Männer so rasch wie möglich heraufschicken, und deshalb glaubte er, als er einige Soldaten aus dem Süden näher rücken sah, daß es Hills Truppen wären, aber die Soldaten trugen blaue Uniformen.
    Er fragte einen seiner Adjutanten: ›Wessen Truppen sind das?‹ Der Adjutant sagte ihm, es wären Unionssoldaten und bot Lee an, das Teleskop zu benutzen, aber Lee hielt seine bandagierten Hände hoch und sagte: ›Kann’s nicht halten. Wessen Truppen sind das?‹ Der Adjutant schaute noch einmal hin, und diesmal konnte er die konföderierten Gefechtsflaggen erkennen.
    Es waren A. P. Hills Leute, gerade von Harper’s Ferry herübergekommen, nach einem Gewaltmarsch von siebzehn Meilen. Hill ritt ihnen voran. Er trug ein rotes Hemd.« Ich klammerte mich ans Lenkrad. »Sie trugen Unionsuniformen, die sie aus dem Vorratslager hatten, das ihnen bei Harper’s Ferry in die Hände gefallen war.«
    Annie wandte sich ab und blickte durch das Seitenfenster zu den Gräbern hinüber, die sie nicht sehen konnte. »Ich möchte nach Hause«, sagte sie.

 
3
     
Lee kaufte Traveller nicht ›in den Bergen von Virginia, im Herbst 1861‹, wie er seiner Cousine Markie Williams nach dem Krieg schrieb, aber er betrachtete das Pferd von dieser Begegnung an als sein eigen und nannte es ›mein Fohlen‹, als er es in Nordkarolina wiedersah und zu den Ställen hinausging, um es zu besuchen. Der Stallknecht klagte darüber, daß er »andauernd bei meinen Pferden rumhing, als hätte er’s drauf angelegt, eins von ihnen zu stehlen«.
     
    BROUN HATTE WIEDER ANGERUFEN, aus New York, und eine Nachricht auf Band hinterlassen. Das Wetter war im Norden eher noch miserabler. Er war noch nicht bei McLaws und Herndon gewesen, aber er hatte sich mit seiner Agentin getroffen, und sie war wegen der Szene an die Decke gegangen. Sie hatte Broun gesagt, daß die Fahnen längst umbrochen und schon in den Druck gegangen seien und daß man keinesfalls einwilligen würde, die Druckpressen wegen einer Szene anzuhalten, die Brouns Lektor nicht gutgeheißen hatte, aber Broun wollte es trotzdem versuchen. Er würde am Abend zurück sein, falls das Wetter etwas besser würde. Anderenfalls käme er morgen früh zurück.
    »Ich möchte, daß du deinen Freund Richard anrufst und herausfindest, ob er irgend etwas über prodromale Träume weiß.« Er buchstabierte das Wort, und dann, als wüßte er, daß er Unmögliches verlangte, sagte er: »Oder noch besser, ruf

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