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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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neblige Dunkelheit hinaus.
    Ich fragte mich, ob ihm bei all diesen Theorien über verdrängte Schuldgefühle und neurale Impulse schon in den Sinn gekommen war, daß die Träume überhaupt keine Erklärung brauchten. Lincoln träumte, er wäre von einem Attentäter getötet worden, und zwei Wochen später lag er tot im östlichen Zimmer. Er hatte seinen Sohn verloren, und das Gesicht des kleinen Jungen erschien ihm im Traum, um ihn zu trösten. Was hatte eine Drüsenstörung dabei zu suchen?
    Ich fragte ihn nicht danach. Ich wollte eine Art von Waffenstillstand herstellen, ehe Broun nach Kalifornien abflog. »Morgen besuche ich Dr. Barton«, sagte ich, als wir zum Flughafen abbogen.
    Er wandte den Kopf und sah mich an, und ich wußte, er wollte ebensowenig Streit wie ich. »Denk dran, Mrs.
    Betts von nebenan die Katze zu geben und ihr zu sagen, daß sie die Pflanzen gießt. Ich habe den Anrufbeantworter auf ›Nachricht‹ gestellt, aber nicht gesagt, wo du bist, für den Fall, daß du dir ein paar Tage freinehmen willst. Ich habe dich zu sehr beansprucht in letzter Zeit. Es gibt in Fredericksburg einen netten Gasthof. Du könntest runterfahren und ein paar Tage bleiben, gönn dir einen kleinen Urlaub. Bleib, bis ich aus Kalifornien zurück bin, wenn dir danach ist.«
    »Jemand muß den Umbruch bearbeiten«, sagte ich, »und in Kalifornien werden Sie keine Zeit dazu haben. Hören Sie, machen Sie sich wegen mir keine Sorgen. Ich laß es leicht angehen. Ich fahre nach Fredericksburg runter, und dann komme ich zurück und arbeite an den Fahnen.«
    »Schön, aber besorg dir wenigstens dafür eine Hilfe. Sonst dauert es zu lange. Warum fragst du nicht das Mädchen, ob sie dir hilft, diese hübsche kleine Blondine von dem Empfang neulich, wie hieß sie noch gleich?«
    »Annie«, sagte ich. »Aber ich bezweifle, daß sie Lust hätte, stundenlang herumzusitzen, ein Buch laut zu lesen und nach Satzfehlern zu suchen.«
    Er kratzte sich an seinem Stoppelkinn. »Ich habe euch an diesem Abend beobachtet. Ich hatte den Eindruck, sie würde so ziemlich alles tun, wenn du sie danach fragen würdest. Und umgekehrt.«
    »Sie ist Richards Freundin.«
    »Weißt du das aus erster Hand? Oder hat Richard dir das gesagt?«
    »Sie werden noch Ihr Flugzeug verpassen«, sagte ich. »Machen Sie sich wegen der Druckfahnen keine Sorgen. Ich schaff’s schon, wenn ich sie auf Band spreche und mir dann vorspiele.«
    Er holte seinen Koffer aus dem Kofferraum und reichte mir dann das gefaltete Papier. »Paß gut auf dich auf, mein Sohn«, sagte er.
    »Sie auch«, sagte ich. »Wenn Sie herausgefunden haben, woher Lincolns Träume kamen, geben Sie mir Bescheid.«
     
    Ich fuhr nach Hause und begann mit der Arbeit an den Druckfahnen, einem langen Kapitel über Bens Bruder, der in Mansfields dem Untergang geweihten zwölften Armeecorps war, und einem weiteren, eher noch längeren, über Colonel Fitzhugh, dessen Männer ihn den ›alten Stutzer‹ nannten, und das seitenlang von den Pflichten eines Gentlemans und dem glorreichen Süden handelte.
    »Ich dachte, das Buch wäre über Antietam«, hatte ich zu Broun gesagt, als ich diese Kapitel das erste Mal gelesen hatte. »Und das hier ist das zweite Kapitel, und es ist noch immer Frühling 1862. Die Schlacht von Antietam war doch erst Mitte September.«
    »Es handelt nicht von Antietam«, hatte Broun gedonnert, das erste Mal, daß ich ihn über eine Kritik von mir wütend werden sah. »Es handelt von der Pflicht, verdammt noch mal!« Er hatte sich damals geweigert, irgend etwas davon herauszunehmen, und jetzt sah ich, daß er, obwohl er so viele Änderungen vorgenommen hatte, daß ich das Buch kaum noch wiedererkannte, alle Passagen über die Pflicht stehengelassen hatte. Erst im neunten Kapitel gelangte man endlich zum neunzehnten September und zurück zu Malachi, Toby und Ben:
    Als Ben erwachte, war es noch dunkel. »Mir war, als hätte ich etwas gehört«, sagte er und richtete sich auf.
    »Noch nicht«, sagte Malachi. Es war zu dunkel, als daß man ihn hätte sehen können.
    »Wie spät ist es?« fragte Ben. »Ich dachte, ich hätte Gewehrfeuer gehört.« Es hatte aufgehört zu regnen, und im Osten schien es ein wenig heller zu werden, doch er konnte es nicht genau erkennen.
    »Erst drei Uhr«, sagte Malachi, und dann mußte Ben wieder eingeschlafen sei, denn als er die Augen öffnete, war es so hell, daß er Malachi sehen konnte. Er hockte vor seinem kleinen Kochfeuer, stocherte in der kalten Asche

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